von Dr. Armin Kaser | Psychologe
Studien schätzen, dass 2-4 % nach WHO-Kriterien süchtig nach Videospielen sind. Was normales Spielen von einer Videospiel-Sucht unterscheidet, auf welche Symptome Eltern achten sollten und wie eine Therapie von Videospiel-Sucht wirkt lesen Sie hier.
Zusammenfassung
- Videospiel-Sucht gilt seit der Aufnahme in den Katalog der psychischen Erkrankungen der WHO 2018 offiziell eigenständige Suchterkrankung.
- Der Süchtige, Familie und Partner leiden massiv und der Sucht und ihren Folgen in Alltag, Schule oder Job. Am schwersten sind psychische Folgen: sozialer Rückzug, Schul- oder Studienabbruch, Jobverlust, finanzielle Schwierigkeiten und Depression bis hin zu Suizidgefahr.
- Über 90 % der Videospielsüchtigen leiden zudem unter psychischen Begleiterkrankungen. Am häufigsten sind Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, ADHS und Angststörungen.
- Bei leichten Fällen können Mediennutzungsverträge, Tagespläne und Belohnungspläne helfen.
- Professionelle Hilfe bieten Online-Beratungen (auch für die Angehörigen), spezielle Psychotherapien und stationäre Aufenthalte in speziellen Suchtkliniken.
Symptome
Forscher sind sich mittlerweile einig, dass die alleinige Spielzeit kein sicherer Hinweis auf eine Videospiel-Sucht ist. Bei der Diagnose verwenden Sie stattdessen die Symptomliste der WHO:
- Ständiges Denken an Videospiele: Süchtige denken auch bei Aktivitäten abseits von Konsole, PC oder Smartphone ständig daran, wann Sie das nächste Mal spielen können und an die Inhalte ihrer Games.
- Fehlende Kontrolle: Einerseits haben Videospielsüchtige kein Gefühl mehr dafür, wie viel Zeit Sie in Spielen oder Internet verbringen. Andererseits können Sie das Verlangen (Craving) nicht mehr kontrollieren. Oft haben Sie schon erfolglos versucht, ihre Spielzeit selbst einzuschränken.
- Entzugserscheinungen: Bei kaltem Entzug, Verboten oder technischen Problemen zeigen Videospielsüchtige psychische Entzugssymptome: Reizbarkeit, Aggression, Wut, Unruhe, Nervosität. Auch körperliche Entzugserscheinungen sind möglich: Bluthochdruck, erhöhter Puls.
- Toleranzentwicklung: Um dasselbe Erfolgserlebnis zu empfinden, muss der Betroffene immer länger spielen. Teilweise müssen die Reize auch stärker werden: Größere Siege, schwierigere und riskantere Missionen.
- Weiterspielen trotz auftauchender Probleme: Gesunde Spieler können Ihren Medienkonsum reduzieren, wenn die negativen Konsequenzen Überhand nehmen. Süchtige spielen stattdessen weiter – auch um von den Problemen abzulenken.
- Vertuschen, Verheimlichen und Lügen: Süchtige täuschen ihr Umfeld trickreich, damit ihre Abhängigkeit unsichtbar bleibt.
- Flucht: Bei Verboten, technischen Maßnahmen oder reagieren Videospielsüchtige entweder mit Rückzug oder versuchen, sich den Maßnahmen zu entziehen.
- Schwerwiegende Folgen: Besonders häufig sind familäre Konflikte, Schul- und Studienabbrüche, Arbeitslosigkeit, Trennungen und Scheidungen – dabei betrachtet man den Zeitraum der letzten 12 Monate.
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Häufigkeit
Aktuelle Studien zufolge, sind in Österreich und Deutschland zwischen 2 und 4 % der Menschen videospielsüchtig.
Asiatische Länder wie China oder Japan weisen noch deutlich höhere Zahlen auf. Experten befürchten, dass dies ein Hinweis auf die zukünftigen Zahlen in Österreich und Deutschland sein könnte.
Videospielsucht ist eher männlich
Videospiele sind eher auf die Vorlieben der Männer zugeschnitten: Wettkämpfe und Ranglisten in Sportspielen (FIFA), MOBAs (League of Legends, DOTA), und Survival/Battle Royal-Spielen (Fortnite, PlayerUnknown’s Battlegrounds). So erklären sich Suchtberater, dass in die Suchtberatungsstellen fast nur Jungen und Männer kommen. Frauen werden eher internetsüchtig – Instagram, Facebook, TikTok.
Ursachen
Verhaltenssüchte entstehen immer dann, wenn mehrere ungünstige Faktoren zusammen kommen. Videospiel-Sucht hat Ursachen in 3 Bereichen:
1. In den Persönlichkeitsmerkmalen des Abhängigen: Für Introvertierte und Schüchterne üben Videospiele einen besonderen Reiz aus, weil sie ansonsten eher wenige Freunde und Hobbys haben. Auch bei Einsamkeit oder emotionaler Instabilität bieten Videospiele kurzfristig eine verlockende Erleichterung. Diese Persönlichkeitsmerkmale sind zum überwiegenden Teil genetisch bedingt.
2. In den Eigenschaften der Videospiele: Spielspaß, Freude und Motivation zum Weiterspielen werden gezielt durch Belohnungsmechanismen ausgelöst. Bei gesunden Spielern ist das kein Problem. Süchtige geraten dadurch aber in einen Teufelskreis, bei dem die Belohnungen immer stärker werden müssen. Manche Typen von Videospielen setzten ganz besonders auf solche psychologische Tricks: Free2Play-Spiele, Online-Rollenspiele und Spiele, die sich über Mikro-Transaktionen und Abo-Modelle finanzieren.
3. In den Umständen in Familie, Umwelt und Gesellschaft: So wie ein gutes Familienklima schützend wird, kann ein Broken Home, eine ungünstige Peergroup oder ein unkritischer Medienkonsum im Umfeld die Videospielsucht begünstigen. Oft entwickeln Eltern oder Partner eine Co-Abhängigkeit, wenn Sie versuchen, den Abhängigen zu schützen. Das kann eine überfällige Behandlung verzögern. Auch die Gesellschaft kann eine Abhängigkeit fördern: Leistungsdruck in Schule und Arbeit, Trend zu Digitalisierung und Individualismus und Ein-Personen-Haushalte.
Begleiterkrankungen
Videospielsüchtige leiden extrem häufig an weiteren psychischen Erkrankungen.
Die psychische Komorbidität wirkt dabei wie ein Beschleuniger für die Abhängigkeit von Videospielen.
- Borderline, Narzissmus, krankhafte Schüchternheit oder Zwanghaftigkeit sind Persönlichkeitsstörungen (52 %). Das Gefühlsleben, Denken und die Beziehungen der Betroffenen sind deutlich anders, als man es von seinen Mitmenschen erwartet. Ihr Verhalten wirkt oft besonders, wenig flexibel oder in der Situation unpassend.
- Eine Depression (oder als Erschöpfungsdepression auch: Burnout) muss besonders beachtet werden. Symptome sind gedrückte Stimmung, ein Verlust an ehemaligen Hobbys und Interessen, Traurigkeit und Schlafstörungen. Wegen der hohen Suizidgefahr muss ein Verdacht auf Depression psychologische abgeklärt werden – hier ist professionelle Hilfe angezeigt.
- ADHS (24 %) und Videospiel-Sucht tritt oft gemeinsam auf. Man erklärt sich das durch die Reizüberflutung und einfachen Belohnungen, die Games den Betroffenen bieten. Videospiele bieten ADHS-Kindern und -Erwachsenen “unnatural rewards”, die Sie in der Offline-Welt nicht finden.
- Angststörungen (z. B. soziale Ängste) sind bei 50 % der Videospielsüchtigen zu finden. Die extreme Schüchternheit, Unsicherheit und ein Mangel an sozialer Kompetenz machen es schwer, im echten Leben Beziehungen und Hobbys aufzubauen.
Folgen
Eine Videospiel-Sucht verursacht viel Leid beim Abhängigen, aber auch in seinem Umfeld: Eltern, Familie, Partner und Kinder. Häufig berichtet werden:
- Vereinsamung: Nach vielen verzweifelten Versuchen, den Abhängigen von den Videospielen wegzulocken, gibt das Umfeld irgendwann auf. Die Online- und Spiel-Freunde können echte Kontakte nicht ersetzen. Meistens sind sie selbst in einer ähnlichen Situation.
- Depression mit Suizidgedanken: Vereinsamung, ständige Konflikte und Hoffnungslosigkeit führen häufig zu depressiven Symptomen. Wegen der hohen Suizidgefahr ist es wichtig, die Symptome einer Depression zu erkennen und gegebenenfalls professionelle Hilfe zu holen.
- Leistungsabfall in Schule, Uni oder Job: Schlafmangel und Konzentrationsschwierigkeiten haben Folgen für Arbeit und Schule. Irgendwann brechen die Videospiel-Süchtigen die Schule ab oder kommen nicht mehr zur Arbeit. Das hat massive Auswirkungen auf die späteren beruflichen und finanziellen Möglichkeiten.
- Psychische Erkrankungen: Auch eine Videospiel-Sucht kann Auslöser für weitere psychische Probleme sein. Der Stress durch Konflikte, die dauernde Reizüberflutung durch die Spiele und Schlafprobleme verstärken soziale Phobien, Zwänge und Persönlichkeitsmerkmale, die ansonsten unter Kontrolle wären.
- Über- oder Untergewicht, Haltungsschäden, Muskelabbau: Bewegungsmangel und Ernährung von Fastfood lassen die Muskulatur verkümmern.
- Ein- und Durchschlafstörungen: In Online-Spielen trifft man sich eher in den Abendstunden bis tief in die Nacht. Dadurch verschiebt sich der Tag-Nacht-Rhytmus. Außerdem fällt es schwer, direkt nach eine aufregenden Spiel einzuschlafen.
Tipps
In leichten Fällen können Eltern, Partnerinnen oder das Umfeld noch versuchen, eine entstehende Videospiel-Sucht zu verhindern. Entscheidend ist, das problematische erste Gespräch geschickt anzugehen. Überlegen Sie sich:
- Was möchten Sie erreichen? Was könnte ein realistisches Ziel sein?
- Welche Alternativen können Sie zu den Videospielen bieten? Welche alten Hobbys oder Freundschaften könnten wieder aufgenommen werden?
Sie können sich auch selbst an den psychologischen Techniken versuchen, die Therapeuten bei Videospiel-Sucht anwenden (alle Unterlagen als Gratis-Download).
- Die Kosten-Nutzen-Analyse: Eine Vorlage, um systematisch die Motive, die Vorteile und die Nachteile exzessiven Videospielens gegenüberzustellen.
- Der Tages-Zeitkuchen: Teil jeder Therapie von Videospiel-Sucht ist, alternative Freizeitaktivitäten zu finden. Im Arbeitsblatt wird die Tageszeit neu verteilt.
- Der Belohnungsplan: Das Gehirn lernt durch positive Verstärkung, ungünstiges (süchtiges) Verhalten abzulegen. Im Arbeitsblatt werden deshalb konkrete Belohnungen festgelegt, die den Süchtigen zur Mitarbeit motivieren.
Von einem kalten Entzug ohne begleitende Maßnahmen ist eher abzuraten. Router verstecken, technische Hürden und ähnliches bleiben meist wirkungslos und verschärfen den Konflikt nur noch mehr.
Professionelle Hilfe
Eine Videospiel-Sucht sollte behandelt werden, wenn sich bereits ernsthafte Folgen abzeichnen, wenn die Symptome schon länger andauern, oder wenn depressive Symptome sichtbar werden.
Mittlerweile gibt es spezielle Therapieprogramme gegen Videospiel-Sucht, die sich in Studien auch wirksam gezeigt haben. Die meisten Abhängigen werden ambulant behandelt. Ziel ist eher kontrolliertes Spielen als totale Abstinenz.
Bei schweren Fällen wird vielleicht ein Therapieprogramm in einer Spezial-Klinik empfehlenswert sein. Das ist besonders hilfreich wenn schwere psychische Begleiterkrankungen vorliegen.
Viele Abhängige profitieren von medikamentöser Unterstützung gegen eventuelle Begleiterkrankungen (z.B. Antidepressiva gegen Depression). Es gibt aber heute und auf absehbare Zeit kein Medikament gegen Videospiel-Sucht.
Der beste Ansprechpartner für eine Videospiel-Sucht ist deshalb der Psychologe. Er verwendet bei in der Therapie Werkzeuge aus
- der Verhaltenstherapie (Herausarbeiten der Ursachen, Erstellen von Tages- und Wochenplänen und Strategien für schwierige Situationen und Rückfälle),
- der Familientherapie (um Konflikte zu mildern und aufzulösen) und
- der Gruppentherapie (um soziale Fertigkeiten zu verbessern).
Wohin können Sie sich wenden?
Wenn es bereits Vorerkrankungen gibt, kann Ihr Hausarzt der erste Ansprechpartner sein. Er hat bestenfalls einen Überblick über die Gesamtsituation des Süchtigen. Außerdem kann er Sie an lokale Ansprechpartner verweisen.
Manche Suchtberatungsstellen (Liste mit Adressen in Österreich, Deutschland und Schweiz) beraten ebenfalls zu Videospiel-Sucht. Eine umfangreiche Liste für Österreich, Deutschland und die Schweiz finden Sie hier
Nur wenige Kliniken (zur Liste der Suchtkliniken) sind auf die Behandlung von Videospiel-Sucht vorbereitet.
Von überall erreichbar ist meine Online-Beratung zu Videospiel-Sucht. Die Online-Beratung funktioniert sowohl für den Betroffenen selbst als auch für Angehörige, Eltern oder Partnerinnen.