Einsamkeit und Rückzug | Soziale Folgen einer Computerspiel-Sucht

Weil das Computerspielen den Tagesablauf bestimmt, vereinsamen Süchtige. Für Freunde, Partnerin und Familie bleiben keine Zeit mehr. Nach mehreren erfolglosen Versuchen geben diese irgendwann auch auf.

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Der soziale Rückzug beginnt schleichend. Verabredungen werden nicht mehr eingehalten, bisher regelmäßige Treffen verschoben und schließlich abgesagt. Im sozialen Umfeld wird dieser Rückzug oft als persönliches Desinteresse interpretiert, deshalb verlaufen sich Freundschaften.

Familie, Partnerin oder Freundin haben meist mehr Überblick über die Situation. Sie erkennen, dass die gemeinsamen Aktivitäten von der Computerspielzeit verdrängt werden. Verhindern können sie das nicht.

Da ist es nachvollziehbar, dass die Menschen im Umfeld des Süchtigen irgendwann aufgeben.

Wenn Raids und Clan-Training wichtiger als reale Veranstaltungen werden

Eine Schlüsselrolle spielen dabei regelmäßige Online-Verpflichtungen wie Raids oder Trainingseinheiten des Clans. Freunde und Partner fühlen sich veräppelt, wenn feste Termine im Online-Spiel dazu führen, dass Aktivitäten im echten Leben verschoben oder abgesagt werden.

Es macht einen Unterschied, ob der Abend um ein Fußballtraining in der echten Welt herum geplant wird, oder ob eine Counterstrike-Runde um 20.00 Uhr das feste Event am Abend ist. Für diese Prioritäten fehlt praktisch immer das Verständnis.

Soziale Kontakte driften in die virtuelle Welt ab

Das ist ein dramatischer Wendepunkt im sozialen Gefüge. Es bedeutet, dass die sozialen Kontakte im Internet (Clans, Forenmitglieder, Facebook-Follower) wichtiger werden als jene im Real-Life.

  • Erstens bleiben bisherigen Hobbys, Treffen und Aktivitäten nur noch kleine Zeitfenster um die virtuellen Termine herum.
  • Zweitens merken Freunde, Partnerinnen und Familie, dass sie nur noch zweite Wahl sind. Warum sollten sie sich jetzt noch weiter um den Süchtigen bemühen?

Ein Teufelskreis beginnt

Je weniger interessant die echte Welt wird, desto besser fühlt sich der Computerspiel-Süchtige online aufgehoben. Diese Online-Kontakte sind immer nur einen Klick entfernt, kritisieren sein Verhalten nicht (weil sie meist genau dieselbe Entwicklung durchmachen). Je trister und karger das Real-Life wird, desto verlockender scheint die Welt der Spiele.

(Sozial) Reiche werden reicher, Arme werden ärmer

Bemerkenswert ist, dass nicht alle Internetnutzer diese Entwicklung durchmachen. Ob eine intensive Internetnutzung auch reale Hobbys und Kontakte verdrängt, hängt von der grundlegenden Persönlichkeit des Nutzers ab.

  • Menschen, die sehr extrovertiert sind, können von den Online-Kontakten profitieren. Diese Extrovertierten sind auch im echten Leben kontaktfreudig, gesellig und haben einen großen Freundeskreis. Für sie ist die virtuelle Welt eine Bereicherung, sie können die Kontakte im Internet hinzunehmen, ohne die Bestehenden in der echten Welt zu gefährden. Sie stellen z. B. eigene Regeln auf, dass Treffen und Aktivitäten im Real-Life immer Vorrang haben und Computer- und Online-Zeit nur bestehende Lücken im Tagesablauf füllen darf. Forscher nennen das „The rich get richer“ – wie beim Geld werden die Reichen immer reicher.
  • Die meisten Computerspiel-Süchtigen sind hingegen introvertiert. Sie tun sich auch im echten Leben schwer, Freunde zu finden und Kontakte zu knüpfen. Ihr Freundeskreis ist klein, in der Öffentlichkeit sind sie schüchtern und verschlossen. Für sie scheint die Online-Welt eine einfache Lösung zu sein. Die Schüchternheit ist kein Problem, ihr geringes Selbstvertrauen können sie verbergen und ein bisschen geht ihre Einsamkeit dadurch weg. Auf längere Zeit wird ihr Problem dadurch aber nur größer – sie verlieren noch mehr den Anschluss an die echte Welt, ihre echten Kontakte. Sie werden noch einsamer und unglücklicher. So wie die Reichen immer reicher werden, werden Arme immer ärmer.

Einsam wegen Computerspielen oder süchtig wegen Einsamkeit?

Studien zeigen, dass beides der Fall ist: Wer sich einsam fühlt und Schwierigkeiten in der echten Welt hat, erlebt in Computerspielen und sozialen Netzwerken erst mal ein willkommenes Ventil.

Doch diese vermeintliche Lösung verschlimmert das Problem nur, wenn jetzt erst recht Zeit, Hobbys und Kontakte in die virtuelle Welt verschoben werden. Der Rückzug führt zu noch mehr Einsamkeit, geringerer sozialer Kompetenz und weniger Selbstvertrauen.

Computerspiele erscheinen für Introvertierte als Lösung ihrer Probleme – tatsächlich schnappt damit aber oft eine Falle zu.

Fazit

Computerspielsüchtige ziehen sich zurück, schichten Zeit von realen Hobbys, Terminen und Freundschaften in die virtuelle Welt um. Das verschlimmert das Problem, weil Partnerinnen, Familie und Freunde zunehmend an Einflussmöglichkeiten verlieren.

Besonders Introvertierte, Schüchterne mit wenig Selbstvertrauen sind gefährdet. Für sie sind soziale Netzwerke und Computerspiele gefährlich, weil sie Bedürfnisse befriedigen, die in der echten Welt bei ihnen zu kurz kommen.

Weil ein sozialer Rückzug die Probleme dramatisch verschlechtert, sollten Familie, Freunde und Angehörige möglichst schnell reagieren. Je länger abgewartet wird, desto schwieriger gestaltet sich die Lösung.

Quellen

Internet Paradox Revisited (Kraut, Kiesler, Boneva, Cummings, Helgeson & Crawford, 2002)

Prevalence of internet addiction and comparison of internet addicts and non-addicts in Iranian high schools (Ghassemzadeh, Shahraray & Moradi, 2008)

Project massive: Self-regulation and problematic use of online gaming (Kraut & Fleming Seay, 2007)

Psychosocial causes and consequences of pathological gaming Lemmens, Valkenburg & Peter, 2011)

The Role of Internet User Characteristics and Motives in Explaining Three Dimensions of Internet Addiction (Kim & Haridakis, 2009)