Die eigene Persönlichkeit | Ursachen für Computerspiel-Sucht

Menschen sind unterschiedlich anfällig für die Entwicklung einer Sucht. Computerspielsüchtig werden häufig jene, die emotional labil, schüchtern und gehemmt sind.

Auch Einsamkeit und geringes Selbstvertrauen sind Risikofaktoren.

So wie Menschen unterschiedlich groß und klein, dick und dünn sind, sind sie auch unterschiedlich anfällig für psychische Störungen und die Entwicklung von Süchten.

Besonders widerstandsfähige Menschen bezeichnen Psychologen als resilient. Jeder kennt diese Menschen, die auch schwere Schicksalsschläge gut überstehen.

Wer hingegen leicht psychisch erkrankt, ist vulnerabel. Für Wissenschaftler ist interessant, worin sich die Resilienten von den Vulnerablen unterscheiden. In einer Prävention oder später in einer Behandlung von psychischen Störungen kann man sich dieses Wissen zunutze machen.

Persönlichkeitsmerkmale – Was Menschen von einander unterscheidet

Das bekannteste wissenschaftliche Modell, um die Unterschiede zwischen Menschen einzuschätzen, ist das Big Five (auch Fünf-Faktoren-Modell).

Dabei wird jeder Mensch auf jeder der 5 Dimensionen eingeordnet: Neurotizismus, Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Offenheit für Erfahrungen. Man kann also in jeder Dimension hoch, niedrig oder irgendwo dazwischen stehen.

Dimensionhochniedrig
Neurotizismusselbstsicher, ruhigemotional, verletzlich
Gewissenhaftigkeiteffektiv, organisiertunbekümmert, nachlässig
Extraversiongeselligzurückhaltend, reserviert
Verträglichkeitkooperativ, freundlichkämpferisch, streitlustig
Offenheitneugierigkonservativ, vorsichtig

Diese Einordnung hat auch tatsächliche Auswirkung auf unseren Alltag. Jemand mit niedriger Gewissenhaftigkeit ist für einen Job als Buchhalter weniger geeignet. Verträgliche Menschen sind beliebt und haben einen recht großen Freundeskreis.

Haben Computerspiel-Süchtige eine typische Persönlichkeit?

Die Persönlichkeit des Süchtigen beeinflusst seine Sucht in 4-facher Weise. Sie

  • begünstigt die Entstehung,
  • führt dazu, dass die Sucht aufrechterhalten wird,
  • verhindert, dass er sich selbst heilen kann und
  • beeinflusst den Erfolg einer Therapie.

Deshalb beschäftigen sich viele Studien mit dem Zusammenhang zwischen den Big 5 und Sucht. Und sie haben in vielen Bereichen Unterschiede zwischen den Computerspiel-Süchtigen und der Normalbevölkerung gefunden.

1. Neurotizismus: emotional instabil

Bei vielen Süchten konnte nachgewiesen werden, dass emotional Instabile häufiger süchtig werden. Sie sind öfter traurig, angespannt, unsicher. Sie sorgen sich mehr und kommen schlechter mit Stress zurecht. Für sie sind Suchtmittel ein verlockender Ausweg. Sie rauchen mehr und werden öfter alkoholabhängig.

Auch für eine Computerspiel- oder Internet-Sucht sind emotional instabile Menschen anfälliger. Computerspielen ist für sie die Möglichkeit, der realen, bedrohlichen Welt voller Stress und Sorgen zu entfliehen.

Da erscheint es einfacher,

“…besonders viel Energie und Aufwand in die Weiterentwicklung der virtuellen Spielfigur, des Avatars zu investieren und in der scheinbar sichereren Online-Welt alltäglichen Belastungen zu entfliehen.”

Kai Müller in Spielwiese Internet

2. Mangelnde Selbstkontrolle und Impulsivität

Sorgfältig, zuverlässig und überlegt zu handeln fällt manchen Menschen besonders schwer. In den Big 5-Persönlichkeitstests erzielen sie besonders niedrige Werte in der Dimension Gewissenhaftigkeit.

Sich selbst an eigene Vorgaben und Pläne zu halten ist wichtig, um verlockende Tätigkeiten nicht zu einer Sucht ausufern zu lassen. Wenn selbstschädigendes Verhalten, z. B. Rauchen, Alkoholkonsum, exzessives Computerspielen oder Internetkonsum unter Kontrolle gehalten werden muss, ist eine enorme Portion Selbstkontrolle nötig. Diese Menschen verlieren dann schnell die Motivation und geben auf.

Impulsivität kommt oft in Zusammenhang mit ADHS vor. Die Betroffenen reagieren oft unbedacht, unkontrolliert und für die Situation unpassend. Ihre Frustrationstoleranz ist besonders niedrig. Das passt zu dem Eindruck, dass der Umgangston in Online-Communitys teilweise extrem feindselig und aggressiv ist.

Online fällt Motivation leichter

Online und in Computerspielen hingegen finden sie sichere Strukturen, klare Regeln und Rollenzuweisungen vor. Ihre Motivation wird kaum auf die Probe gestellt, die schnell hintereinander folgenden Erfolgserlebnisse in Spielen und sozialen Netzwerken passen gut zu ihrem Fühlen und Denken.

Auch in der Therapie fällt es ihnen schwer, sich an Vereinbarungen und Termine zu halten. Sie brauchen extrem viel Unterstützung, um in der Therapie Hausübungen, Wochenprotokolle oder Stimmungstagebücher zu erledigen.

3. Introvertiert – Schüchtern und unsicher

Manchen Menschen fällt es leicht, auf fremde Menschen zuzugehen, sie anzusprechen. Auf Partys fühlen sie sich wohl. Sie sind extravertiert.

Süchtige sind eher das Gegenteil. Sie sind introvertiert: Tun sich schwer, neue Kontakte zu knüpfen und diese Freundschaften später auch angemessen zu pflegen. Weil sie Bemerkungen, Kommentare und Kritik auch schnell persönlich nehmen und bei zweideutigen Botschaften tendenziell die schlechte Variante annehmen, fühlen sie sich besonders oft angegriffen.

Digitale Distanz schafft Sicherheit

In Studien konnten Forscher zeigen, dass Computerspiel- und Internet-Süchtige eine eher introvertierte Persönlichkeit haben. Ihnen kommt die Distanz durch das Medium Internet entgegen – je weiter der andere entfernt ist, desto sicherer fühlen sie sich.

Oft müssen sie in Online-Spielen und Internet-Foren nicht einmal ihren echten Namen angeben. Im Notfall können sich außerdem das Spiel oder den Browser einfach schließen. So kann man die Anderen perfekt auf Distanz halten.

Eine befriedigende Kommunikation oder gar Freundschaft entsteht so kaum. In Untersuchungen zeigt sich: Je mehr sich die Introvertierten mit dem Internet beschäftigen, desto weniger glücklich werden sie.

4. Sensation Seeking

Es gibt Menschen, die gezielt extreme und riskante Situationen und Risiken suchen – etwa Fallschirmspringen oder Drogen. Computerspiel-Süchtige scheinen tendenziell auch zu dieser Gruppe zu gehören – obwohl sie das Haus dafür nicht zu verlassen.

Sensation Seekers brauchen viele, abwechslungsreiche und intensive Eindrücke – wettkampfbasierte Spiele wie League of Legends können durch Spannung und Aufregung genau das bringen. Wie langweilig erscheint ein Film oder Buch dagegen.

5. Mangelndes Selbstvertrauen und soziale Kompetenz

Es mag wie ein Vorurteil klingen, dass Computerspiel- und Internet-Süchtige unsichere, scheue und schüchterne Jungs und Männer sind. Zahlreiche Studien belegen diesen ersten Eindruck jedoch.

Soziale Kompetenz ist wichtig, um im echten Leben Freundschaften aufzubauen, zu pflegen und bei schwierigen Gesprächen zurechtzukommen. Mit der Flucht in virtuelle Welten kann man sich genau diesen Schwierigkeiten (vorerst) entziehen.

6. Stressanfälligkeit

Dass Stress einen großen Einfluss auf psychische Erkrankungen hat, ist lange bekannt. Bei Computerspiel-Sucht gibt es zwei Zusammenhänge:

  • Computerspiel-Süchtige reagieren auf Stress sensibler, für sie sind stressige Situation deshalb belastender.
  • Sie können mit Stress schlechter umgehen.

Internet und Computerspiele sind hervorragend geeignet, um sich durch Ablenkung dem Stress zu entziehen. Leider ist das langfristig keine geeignete Stressbewältigung. Die Probleme werden dadurch nur aufgeschoben – die Folge ist eine negative Verstärkung des süchtigen Verhaltens.

Wissen um die eigene Persönlichkeit hilft

Oft hilft es dem Betroffenen, wenn er versteht, warum es gerade ihn betrifft, während andere einen normalen und gesunden Umgang mit Computerspielen schaffen. Das ist das Ziel der Psychoedukation: Wissen über die Störung und ihre Entstehung zu vermitteln.

Auch für die Angehörigen ist es gut, diese Zusammenhänge zwischen Sucht und der Persönlichkeit des Betroffenen zu erkennen. Sie können sich im Alltag besser auf seine Bedürfnisse einstellen – und sehen oft erleichtert, dass der Auslöser für die täglichen Auseinandersetzungen und Probleme nicht unbedingt bei ihnen liegt.

Fazit: Maßgeschneiderte, individuelle Therapien durch Diagnostik

Für jede Therapie ist es wichtig, das individuelle Leiden und seine Entstehungsgeschichte zu begreifen. Der Helfer – Psychologe, Psychiater oder Psychotherapeut – muss zusammen mit dem Computerspiel-Süchtigen ein Störungsmodell entwickeln, das die Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen der Probleme verständlich und nachvollziehbar macht.

Jeder Mensch, jeder Patient, jeder Süchtige ist einzigartig. Eine gute Therapie geht auf seine Persönlichkeit, seine Ressourcen und Möglichkeiten und seine Ziele ein. Deshalb wird der erste Schritt immer eine ausführliche Diagnostik sein. Psychologische Tests sind dafür das Mittel der Wahl. Damit kommt man den Ursachen einer Computerspiel-Sucht auf die Spur.

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