Belohnungen helfen nicht nur im Alltag. Psychologen wenden dieses Prinzip der positiven Verstärkung gezielt in der Verhaltenstherapie an. Auch Laien können damit viel erreichen.
Mit Belohnungen kann man Menschen gut beeinflussen. Die Aussicht auf eine Süßigkeit lässt das Kleinkind den Einkauf über ruhig sein. Die Erwartung auf Weihnachtsgeschenke kann den Familienfrieden ganz erheblich fördern.
Eine Technik der Psychologen
Weniger bekannt ist, dass dieses Prinzip der Belohnung auch in der Psychologie und Verhaltenstherapie angewandt wird. Die Profis sprechen dann von Verstärkerplänen, weil die Belohnungen ein gewünschtes Verhalten verstärken.
Ein Verhalten zu verstärken heißt:
- Es passiert öfter.
- Es passiert länger oder intensiver.
- Es passiert (mit der Zeit) automatisch und ohne Aufforderung.
- Und am Ende sogar, ohne dass eine Belohnung nötig ist.
Anleitung
Solche Belohnungspläne kann man für viele Probleme bei Computerspiel-Sucht erstellen: Reduktion der Spielzeit, Wiederaufnahme von Hobbys, mehr Bewegung, mehr soziale Kontakte und vieles mehr.
Belohnungsplan erstellen in 6 Schritten:
- Das problematische Verhalten identifizieren.
- Das neue, gewünschte Verhalten festlegen.
- Den Ist-Zustand feststellen – mit Wochenprotokoll und Stimmungs-Tagebuch.
- Die Motive für das Computerspielen herausfinden – mit Kosten-Nutzen-Analyse und Bedürfnisblatt.
- Die Belohnungen festlegen.
- Veränderungsphase starten.
So entsteht ein Belohnungsplan
Wir werden uns am Beispiel des wichtigsten Ziels – der Reduktion der Spielzeit – ansehen, wie so ein Belohnungsplan zusammengestellt wird.
Schritt 1: Was ist das problematische Verhalten?
Hier müssen wir unterscheiden, wie der Süchtige das Problem sieht und wie Eltern oder Angehörige das sehen. Etwa am Beispiel der Spielzeit:
Das Problem aus der Sicht der Eltern oder Angehörigen: Sie fühlen sich verantwortlich, die Zeit am Computer zu begrenzen. Wahrscheinlich sind ihnen schon die negativen Folgen des exzessiven Computerspielens aufgefallen. Der Betroffene gehorcht nicht, sondern startet eine ausweglose Diskussion. Streit, Wut und Belastung sind die Folge.
Das Problem aus der Sicht des Süchtigen: Es gibt keine Regeln, wie lange gespielt werden darf. Sobald ihm verboten wird, weiterzuspielen, protestiert er. Jetzt aufzuhören bedeutet, dass er auf Spaß, Freude und Ablenkung verzichten muss.
Schritt 2: Welches neue, bessere Verhalten soll stattdessen gelernt werden?
Die Eltern wünschen sich:
- eine zeitliche Begrenzung
- an die sich der Sohn auch ohne Aufforderung hält und
- ein Ende der Diskussionen über Sinn und Zweck der Begrenzung der Spielzeit.
Damit die Eltern ihren Wunsch bekommen, muss auch dem Süchtigen etwas geboten werden. Ansonsten bleibt es ein Verbot, das sich für ihn wie eine Strafe anfühlt.
Schritt 3: Den Ist-Zustand feststellen mit Wochenprotokoll und Stimmungstagebuch
Wie oft tritt das problematische Verhalten aktuell auf? Mindestens 2 Wochen müssen die Eltern Buch führen: Wie oft spielt er, wie lange und wie oft kommt es deswegen zu Streit?
Wochen-Protokoll führen
Das Wochenprotokoll ist wichtig, um später einen Stufenplan zu erstellen. Das Ziel soll Stück für Stück erreicht werden. Deshalb muss man wissen:
- Wo genau man gestartet ist.
- Ob es schon (kleine) Fortschritte gibt.
Stimmungs-Tagebuch
Es ist hart, Süchtige in dieser Phase schon zu einer Mitarbeit zu bringen. Wichtig ist, dass Sie auch die Perspektive des Süchtigen kennenlernen.
Im Idealfall füllt er sein Stimmungs-Tagebuch also selbst aus. Wenn das nicht klappt, übernehmen Sie das. Fragen Sie am Abend jeweils kurz ab:
- Wie er sich heute gefühlt hat (gut/normal/schlecht).
- Ob ihn heute etwas belastet oder gestresst hat (ja/nein).
- Wie groß sein Verlangen nach Computerspielen heute war (stark/mittel/schwach).
- Wie viele Stunden er heute ungefähr gespielt hat.
Schritt 4: Herausfinden: Welche Bedürfnisse befriedigt Computerspielen im Moment?
Dieser Schritt lässt sich am besten mit einer Kosten-Nutzen-Analyse erledigen. Hinter jeder Sucht stehen unbefriedigte Bedürfnisse, die eine Sucht entstehen lassen.
Diese Bedürfnisse lassen sich im Moment nicht anders befriedigen und sorgen auch dafür, dass die Sucht nicht einfach verschwindet. Deshalb muss man diese Bedürfnisse und Motive sichtbar machen.
Ein häufiges Beispiel
Das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse kann z. B. sein, dass der Süchtige spielt, um seine Traurigkeit und depressiven Gefühle zu verdrängen.
Von Bedürfnissen zu passenden Aktivitäten
Dann gilt es, gezielt Möglichkeiten zu suchen, um dieses Bedürfnis auch ohne Computer zu erfüllen. Meist sind es andere Aktivitäten, die hier clever festgelegt werden. Im Bedürfnisblatt suchen Sie passende Aktivitäten, um möglichst viele der Aktivitäten abzudecken.
Für den traurigen, depressiven Computerspieler könnte das Bedürfnisblatt so aussehen:
Bedürfnis | Aktivität oder Maßnahme | Mit wem |
---|---|---|
Traurigkeit verdrängen oder lösen | Sport (wirkt antidepressiv) | Freunden, Sportverein oder Vater |
Traurigkeit verdrängen oder lösen | Therapeutische Gespräche | Psychologen |
Traurigkeit verdrängen oder lösen | Antidepressivum | Hausarzt oder Psychiater |
Jede Sucht „löst“ vordergründig ein Problem/stillt ein Bedürfnis. Wenn die Sucht langfristig verschwinden soll, müssen zuerst die Bedürfnisse hinter der Sucht ein anderes Ventil oder eine andere Erfüllung finden.
5. Schritt: Festlegen der Belohnungen
Auch die Belohnung sollte klipp und klar festgelegt werden. Der Süchtige muss ganz genau wissen, wann er eine Belohnung (auch Verstärker oder Token) bekommt und unter welche Bedingungen er sich diese Belohnung nicht verdient. Psychologen nennen diese Belohnungen übrigens:
Belohnungen können ganz unterschiedlich sein:
a) Materielle Belohnungen und Erlebnisse
Besser als Geld sind gemeinsame Erlebnisse als Belohnung: Ausflüge, Schimmbad-, Zoo-, Konzert-, Messebesuche, Fußballspiele. Dabei sollte das Erlebnis neben dem Betroffenen auch seiner Begleitung Spaß machen.
Die Belohnungen sollen auch wenig kosten – Sie müssen das finanziell einige Zeit durchhalten. Aus psychologischer Sicht ist es nicht der Preis, sondern der symbolische Wert, der zählt. Deshalb reichen oft auch
b) Symbolische Belohnungen
Psychotherapeuten und Psychologen setzen oft einfache Büroklammern, Spielgeld oder –chips ein. Diese kann der Süchtige sammeln und später zu einem festgelegten Wechselkurs eintauschen. Suchen Sie zusammen nach etwas Passendem.
Sie benötigen als Erstes eine Übersicht, wie er sich die Büroklammern verdienen kann – das ist die Lohnkarte.
Aufgabe | Wert |
---|---|
Bei Spielbeginn Bescheid geben | 1 Büroklammer |
Wecker zum Spielen stellen | 1 Büroklammer |
Pünktlich und ohne Aufforderung aufhören | 1 Büroklammer |
Dann legen sie wie bei einer Einlösekarte fest, wie viel eine Belohnung kostet. Für einen Jungen könnte das so aussehen.
Anzahl | Belohnung | Wird eingelöst innerhalb |
---|---|---|
5 Büroklammern | Mit Papa Fußballspielen | 3 Tage |
10 Büroklammern | Schwimmbadbesuch | 7 Tage |
Materielle und Symbolische Belohnungen inklusive Wechselkurs müssen unbedingt niedergeschrieben werden. Der Süchtige bekommt eine Kopie. Um mehr Ideen für Aktivitäten zu bekommen, schauen Sie noch einmal auf das Bedürfnisblatt. Für welche Bedürfnisse haben Sie noch keine Aktivitäten gefunden?
c) Soziale Belohnungen
Die Art, wie Menschen miteinander umgehen, bestimmt auch, wie der Andere auf Bitten und Forderungen reagiert. Besonders Kinder sind empfänglich für nonverbale Botschaften. Versuchen Sie vermehrt:
- Aufmerksamkeit zu schenken,
- Blickkontakt zu suchen ,
- zu lächeln und
- zu loben.
6. Schritt: Veränderungs-Phase starten
Wochenprotokoll und Stimmungstagebuch haben für 2 Wochen geklappt, die Belohnungen mit Lohn- und Einlösekarte stehen, sind unterschrieben und in Kopie an den Süchtigen ausgehändigt – es kann losgehen!
Über die nächsten Wochen führen Sie weiter Wochenprotokoll und Stimmungs-Tagebuch. Wenn es gut läuft, sammelt der Betroffene Büroklammer um Büroklammer, löst sie ein – und sie geben dafür (natürlich zuverlässig) die versprochene Belohnung.
Vielleicht merken Sie schon selbst im Alltag Verbesserungen. Kleine Veränderungen entdecken sie vielleicht erst, wenn sie aus dem Wochenprotokoll und Stimmungstagebuch eine Verlaufskurve zeichnen.
Was nicht passieren darf:
- Eine einseitige Änderung der Regeln durch Sie ODER den Betroffenen.
- Belohnungen vergessen oder verweigern – auch nicht aus schwerwiegenden anderen Gründen.
Zu schwierig?
Die Erstellung und Durchführung des Belohnungsplans ist aufwendig und dauert mindestens mehrere Wochen. Trotzdem ist es die psychologisch beste Methode, die Sie noch als Selbsthilfe machen können.
Wenn Ihnen der Aufwand zu viel oder der Plan am Ende doch zu kompliziert ist, ist es besser, professionelle Hilfe zu holen. Psychologen sind erfahren in der Anwendung von verhaltenstherapeutischen Techniken wie Verstärker- und Belohnungsplänen.
Außerdem können Psychologen noch mehr psychologische Techniken wie horizontale und vertikale Verhaltensanalysen und SORKC-Modelle anwenden. Diese Methoden wären der nächste Schritt.
Buchempfehlung
Buch: Computerspielsüchtig? Rat und Hilfe für Eltern von Sabine Grüsser und Ralf Thalemann