Für den Schulalltag oder die tägliche Arbeit im Beruf ist es wichtig, dass Gedächtnis, Konzentration und Aufmerksamkeit gut funktionieren. Eine Folge von Computerspiel-Sucht ist, dass Gedächtnisprozesse gestört werden: Effektives Lernen ist so nicht mehr möglich.
Schüler und Studenten müssen dem Unterricht aufmerksam folgen können, bei Aufgaben konzentriert arbeiten und beim Lernen sich neue Sachen gut merken können.
In Ausbildung oder Beruf kommt es ebenfalls auf die kognitive Leistung an, Konzentration bei kniffligen Büroaufgaben und Abrechnungen fordern Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Auch im Handwerk ist es wichtig, ganz bei der Sache zu sein – das Hantieren mit großen oder teuren Maschinen, Aufmerksamkeit im Straßenverkehr. Heutige Berufe sind größtenteils Kopfarbeit.
Neurowissenschaftliche Erklärungen
Genau diese Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung ist bei Süchtigen beeinträchtigt.
Wann immer wir etwas Neues hören oder sehen, kommt es im Gehirn zu Konsolidierungsprozessen. Als Erstes wird die Information im Kurzzeitgedächtnis zwischengespeichert. Das Kurzzeitgedächtnis ist ausgesprochen klein. Deshalb muss die Information möglichst schnell weitergereicht werden – falls sie überhaupt wichtig genug und eine langfristige Speicherung wert ist.
Das ist der Konsolidierungsprozess – die Information soll im Gehirn verfestigt werden. Eine verfestigte Information ist dann langfristig gespeichert und kann später, wenn benötigt wieder abgerufen werden. Im Konsolidierungsprozess wird die Information aus dem kleinen Kurzzeitgedächtnis in das sehr viel größere Langzeitgedächtnis transportiert. Erst wenn das passiert ist, haben wir die Information tatsächlich gelernt.
Lernen wird durch Störungen und Aufregung verhindert
Aus Untersuchungen weiß man, dass es während der Konsolidierung leicht zu Störungen kommt. So eine Störung verhindert, dass die Information in das Langzeitgedächtnis übergehen kann. Wenn sie es nicht in das Langzeitgedächtnis schafft, aber aus dem Kurzzeitgedächtnis verschwindet, haben wir nichts gelernt. Die Information ist verloren.
Eine solche Störung in der Konsolidierung kann psychologisch oder körperlich sein. Wenn die Hausaufgabe etwa von einem Streit unterbrochen wird, kann die Aufregung verhindern, dass der Schüler das Gelernte im Gehirn verankert. Im Gegensatz dazu weiß man, dass eine kurze Ruhepause nach dem Lernen für die Gedächtnisleistung sehr gut ist.
Was hat das mit Computerspiel-Sucht zu tun?
Videospiele sind aufregend, fordernd und ablenkend. Sie lösen genau die Erregung aus, die Konsolidierungsprozesse stören.
- Auf psychischer Seite beschäftigen sie Kurz- und Langzeitgedächtnis, fordern extrem viel Aufmerksamkeit.
- Auf physischer Seite lösen sie Erregung aus, lassen das Stress-Level steigen.
Damit verhindern sie, dass neues Wissen im Langzeitgedächtnis ankommen kann. Dazu passen ältere Studien, in denen dieser Effekt mit Fernsehen nachgewiesen wurde: Fernsehen kann dieses neue Wissen im Kurzzeitgedächtnis geradezu löschen.
Betrifft das auch normale, gesunde Computerspieler?
Studien zeigen, dass auch Nicht-Abhängige davon profitieren, wenn sie nach dem Lernen etwas Ruhiges machen oder schlafen. Bei Süchtigen ist das jedoch grundlegend anders. Experten glauben, dass bei Computerspiel-Süchtigen dieser Konsolidierungsprozess dauerhaft gestört ist.
- Sie verbringen wesentlich mehr Zeit mit Computerspielen, sind deshalb umso mehr diesen Störungen der Gedächtnisprozesse ausgesetzt.
- Computerspiel-Süchtige sind emotional und gedanklich viel mehr vom Spiel eingenommen als normale Spieler. Je tiefer man in das Spiel versunken ist, desto gravierender die Störung der Gedächtnisleistung.
Computerspielen verdrängt Lern- und Schlafenszeit
Lernen braucht Zeit, in der Schule und für Hausaufgaben. Bei einer Computerspiel-Sucht steht das Spielen an erster Stelle – alles andere muss sich unterordnen. Deshalb bleibt für Hausaufgaben, Lernen und Vorbereitung auf Schularbeiten immer weniger Zeit übrig. Das schlägt sich in schlechten Noten nieder.
Falls Computerspiel-Süchtige überhaupt noch in die Schule gehen, fallen sie dort auf, weil sie unausgeschlafen und übermüdet sind. Besonders Online-Rollenspiele werde bis spät in die Nacht gespielt. Das geht auf Kosten des Schlafpensums. Es wird unmöglich, am Vormittag dem Unterricht aufmerksam zu folgen.
Schlechtere Schulnoten
Zahlreiche Studien zeigen eindeutig, dass eine Computerspiel-Sucht zu schlechteren Schulleistung und Noten führt. Das betrifft bereits Computerspieler, die (nur) exzessiv spielen – aber noch nicht süchtig sind. Auch bei ihnen gilt: Je mehr gespielt wird, desto schlechter die Noten. Bei Computerspiel-Süchtigen bricht die Leistung in der Schule komplett ein.
Während die Noten sinken kann, es lange Zeit dauern, bis der Leistungsabfall mit einer Computerspiel-Sucht in Verbindung gebracht wird. Häufig ist es zu spät um die Defizite noch im selben Jahr aufzuholen, das Schuljahr muss wiederholt werden. In anderen Fällen kommt der Schüler immer häufiger zu spät oder gar nicht mehr zur Schule. Ein Schulverweis ist kontraproduktiv, die neue „Freizeit“ nutzen die Betroffenen folglich für weitere Stunden vor dem Computer.
Ausbildungsplatz verloren
Bei Auszubildenden sind die noch Umstände noch schwieriger, sie müssen noch früher in die Arbeit und den ganzen Tag fit genug sein. Auch die Anforderungen sind höher, Verantwortung und Eigeninitiative sollen übernommen werden.
Deshalb passiert es hier noch früher als in der Schule, dass die Süchtigen ihren Ausbildungsplatz verlieren.
Studienabbrüche durch Computerspiel-Sucht
Am meisten Freiheiten haben Studenten, deshalb sind sie besonders anfällig für die Entwicklung einer Abhängigkeit. Obwohl viele Studiengänge seit der Bologna-Reform stärker verschult sind, verlangt ein Studium ein hohes Maß an Selbstorganisation und Eigenmotivation.
Exzessives Computerspielen verhindert jeglichen Fortschritt im Studium. Wenn der Süchtige nicht bei den Eltern wohnt, kann es unter Umständen Jahre dauern, bis jemand von der Stagnation Notiz nimmt.
Besonders in der ersten Phase des Studiums, zum ersten Mal alleine in einer neuen Stadt, kann die Flucht in die virtuelle Welt einfacher erscheinen, als sich mühsam ein neues Leben am Studienort aufzubauen. Es fehlen in dieser Phase Eltern und Freunde, die ein Abdriften verhindern könnten.
Fazit
Eine Abhängigkeit von Computerspielen oder Internet führt zum Leistungsabfall in Schule, Studium und Job. Das passiert durch:
- Schlechteres Lernen, weil die Aufnahme von Informationen in das Langzeitgedächtnis gestört wird.
- Weil Computerspielen viel Zeit in Anspruch nimmt – und diese Zeit für Schlaf, Hausaufgaben und Lernen fehlt.
Noten verschlechtern sich, Schul- und Studienabbrüche sind häufig die Folge. Junge Menschen bleiben ohne Ausbildung und haben später große Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt.
Erwachsene bleiben in ihrer Arbeit hinter den Erwartungen zurück, Nachlässigkeiten schleichen sich ein – nicht zuletzt durch die ständige Müdigkeit. Häufig spielen sie nicht mehr nur in der Freizeit, sondern auch heimlich an PC und Smartphone während der Arbeitszeit.
Sie verlieren die Kontrolle über ihr Leben. So geraten sie immer tiefer in die Abhängigkeit und verlieren am Ende ihren Arbeitsplatz.
„Wer Internet- und Computerspiel-Sucht das Potenzial für einen ernst zu nehmenden Leidensdruck abspricht, verkennt die Realität.“
Kai Müller in Spielwiese Internet – Sucht ohne Suchtmittel