Besonders Eltern hoffen oft, dass die Computerspiel-Sucht ihres Sohnes von alleine wieder verschwindet. So eine Spontanremission ist dann möglich, wenn das exzessive Spielen mit einer schwierigen, begrenzten Lebensphase zusammenhängt, die von selbst irgendwann endet.
Um diese Frage zu beantworten, ist ein ganz bestimmter Typ von psychologischen Studien nötig: eine Längsschnittstudie (auch Kohortenstudie). Der Unterschied zu normalen Studien ist, dass die Befragungen zwei oder mehrmals wiederholt werden, und dabei immer dieselben Personen befragt werden. Zwischen der ersten und den folgenden Befragungen lässt man einige Zeit vergehen, normalerweise sind das 6 Monate.
Namensabgleiche für bessere Ergebnisse
Weil man dann genau vergleichen kann, wie sich eine Abhängigkeit bei den einzelnen Süchtigen entwickelt hat, kann man herausfinden:
- Wie stabil die Computerspiel-Sucht insgesamt ist: Wie viele Süchtige aus der ersten Befragung sind auch 6 Monate später noch abhängig (Stabilität der Computerspiel-Sucht)?
- Bei wie vielen der Computerspiel-Süchtigen ist die Abhängigkeit nach 6 Monaten von alleine wieder verschwunden (Spontanremission)?
Zwei große Studien versuchten bisher, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Prognose: Spontanremissionen von 14,6 % nach einem Jahr
2011 untersuchte ein asiatisches Forscherteam um Gentile et al. fast 3000 Jugendliche. Die Forscher wollten vor allem herausfinden, wie stabil eine Computerspiel-Sucht ist. Dazu befragten sie die Jugendlichen 3 mal: Anfangs, 1 Jahr später und 2 Jahre später.
Bei der ersten Befragung waren von den ca. 3000 Jugendlichen rund 9,9 % computerspiel-süchtig, die restlichen 90 % gesund. Bei der zweiten Untersuchung 1 Jahr später waren mit 8,8 % etwas weniger süchtig. 2 Jahre später war der Anteil der Süchtigen auf 7,6 % gesunken.
Das ist aber noch nicht das Ergebnis, das man eigentlich wollte. Wenn man wissen will, wie viele der anfänglich Computerspiel-Süchtigen sich von alleine erholt haben, muss man die einzelnen Namen der 9,9% Süchtigen der ersten Befragung mit den 8,8 % und 7,6 % der folgenden Befragungen abgleichen. Sonst könnte es sein, dass alle Süchtigen der ersten Befragung geheilt sind und die 8,8 % der zweiten Befragung ganz andere Jugendliche sind.
Genau das haben die Forscher gemacht. Beim Abgleich der Namen konnten sie sehen, dass von den 9,9 % der ersten Befragung wiederum 16,4 % von alleine gesundgeworden sind. In konkreten Zahlen: Von 3000 Jugendlichen waren anfangs 297 (9,9 %) computerspielsüchtig. Von diesen 297 Süchtigen waren nach einem Jahr 49 (16,4 %) nicht mehr süchtig.
Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass von 297 Süchtigen 83,6 % (also 248 Jugendliche) nach einem Jahr genauso süchtig ist wie zuvor. Bei den allermeisten Abhängigen geht das Problem also nicht von alleine wieder weg.
Bessere Aussichten in der Niederlande
Niederländische Forscher haben 2011 eine ähnliche Studie durchgeführt und dabei etwas ermutigendere Ergebnisse gefunden.
Sie haben 1500 Schüler im Alter von 13-16 Jahren befragt. Unter ihnen zeigten 3 %, also 45 Schüler, Anzeichen von Computerspiel-Sucht. Sie befragten die Jugendlichen nach einem Jahr erneut. Ein Jahr später erfüllten von den 45 ehemals Computerspiel-Süchtigen nur mehr die Hälfte die Kriterien der Computerspiel-Sucht. Das entspräche einer Rate von Spontanremissionen von 50 %. Leider ist die niederländische Studie mit lediglich 45 Befragten zu klein um verlässlich zu sein.
Besser nicht riskieren, einfach abzuwarten.
Vorläufig sieht es so aus, dass es riskant und nicht empfehlenswert ist, bei einer Computerspiel-Sucht einfach abzuwarten. Eine Computerspiel-Sucht ist nicht nur für den Betroffenen schlimm. Auch soziales Umfeld und die Familie leiden unter der Sucht.
Je länger die Sucht andauert, desto größer sind auch die langfristigen Folgen – wenn etwa Schule oder Ausbildung abgebrochen wird, depressive Symptome sich verfestigen und der Rückzug in Vereinsamung führt.
Fazit
In den allermeisten Fällen (83,6 % in der asiatischen Studie) tritt ohne professionelle Hilfe keine Besserung ein. Auf eine psychologische, psychotherapeutische oder pädagogische Hilfe zu verzichten bedeutet, das Problem zu verschleppen und dabei die Lebenssituation des Betroffenen und seines Umfelds langfristig zu verschlechtern.
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