ZDF Video: Kinder und Süchte | Volle Kanne | offline

Für Laslo sind ganz alltägliche Situationen eine große Herausforderung. U-Bahn fahren: für ihn eine Tortur. Laslo war über 15 Jahre abhängig von Computerspielen und Internet. Den Entzug hat er geschafft. Doch Bildschirme, Smartphones und Menschen, die im Internet surfen stellen ihn und seine Enthaltsamkeit auf eine harte Probe.

„An guten Tagen merke ich es nicht. An schlechten Tagen ist es schon noch wie ein Alkoholiker auf dem Weihnachtsmarkt. Das Angebot ist da, ich hab’s ja auch in meiner Tasche. Auf den U-Bahnhöfen gibt’s WLAN. Ich muss nur zugreifen. Ob ich es dann mache oder nicht ist nur Willenskraft.“

Laslo P., war medienabhängig

Die Sucht nach Videospielen beginnt schleichend, als Laslo 12 Jahre alt ist. Er beginnt zuerst ein wenig, dann immer häufiger und länger zu spielen. Seine Spielfigur, der Avatar, wird ihm wichtiger als sein eigenes Spiegelbild. Er kümmert sich nicht mehr um sein reales Ich. Er lässt sich gehen, ist immer länger im Internet, bis zu 15 Stunden am Tag. Bis es zum Zusammenbruch kommt. Es folgen 6 Monate Aufenthalt in einer Entzugsklinik, danach noch eine lange ambulante Therapie. Jetzt versucht er, seinen Mediengebrauch zu beschränken, ihn zu kontrollieren.

4-Augen-Prinzip

Deshalb geht er nicht mehr einfach so ins Internet. Er lässt sich dabei von seiner Mutter Carmen beobachten. In der heutigen Welt kann man ganz abstinent nicht mehr leben. Computer und Smartphone gehören im 21. Jahrhundert dazu. Spiele sind aber für ihn jetzt tabu.

„Laslo hat eben für sich festgestellt, dass er alleine mit dem Internet nicht umgehen kann. Als er es nach der Therapie noch einmal versucht hat, ist er ganz schnell wieder bei den Spielen gelandet. Er hat dann selbst noch mal die Notbremse gezogen und seinen Computer weggegeben.“

Carmen P., Mutter von Laslo

Suche nach einer Ursache

In der Rücksicht scheint es so, als ob Probleme in der Kindheit für Laslos Probleme verantwortlich sind. Der Vater verlässt die Familie, als Laslo gerade mal 5 Jahre alt ist. In den Augen der Mutter verändert sich Laslo dadurch, wird nachdenklich, zynisch. Er zieht sich zurück. Im Lauf der Jahre verbringt er deshalb immer mehr Zeit alleine vor dem Computer, spielt Online-Rollenspiele im Internet.

Seine Mutter verliert dem Zugang zu ihm. Verbote verpuffen, er ignoriert und umgeht sie. Laslo fängt an zu lügen. Viel später glaubt Laslo, dass er sich insgeheim die Schuld dafür gibt, dass sein Vater die Familie verlassen hat.

„In der Therapie wurde es dann klar: es geht nicht um Schuldzuweisungen. Es geht nicht darum was er oder ich falsch gemacht haben soll. Sondern um verstehen lernen, zuhören lernen.“

Carmen P., Mutter von Laslo

„Das ist das Schlimmste an der Sucht: die Schuldgefühle. Auch beim Süchtigen selbst.“

Laslo P., war medienabhängig

Professionelle Hilfe für Computersüchtige

Laslos Rettung ist die Beratungsstelle Lost in Space. Diese bietet anonyme Gespräche an. Dieses Angebot wird immer mehr nachgefragt. Über die letzten Jahre kommen um 30 % mehr in die Beratung.

„Der Bereich der Computerspiele nimmt immer noch den größten Teil ein. Es kommen aber auch Serienstreaming-Süchtige, die über Wochen, Monate, Jahre unterschiedliche Serien streamen. Auch News-Seiten-Leser, die eigentlich nur eine Nachricht lesen wollten und sich dann den ganzen Tag von einer Nachricht zur nächsten klicken. Dann haben sie zwar ein unglaubliches Allgemeinwissen, schaffen es aber dann nicht, wieder raus in die Realität zu gehen.“

Gordon Schmid, Leiter der Suchtberatungsstelle „Lost in Space“

Laslo hat es geschafft, 2 Jahre abstinent zu bleiben. Um anderen diesen Ausstieg aus der Computersucht zu ermöglichen, gründet er eine Selbsthilfegruppe. Er muss einsehen, dass auch nach einem Entzug die Sucht immer zu seinem Leben dazugehören wird. Er muss aufmerksam bleiben bei allem, dass ihn von sich selbst ablenkt.

„Ich habe versucht, mich rauszubeamen. Versucht, so wenig Zeit wie möglich im realen Leben zu verbringen. Auch, so wenig wie möglich davon mitzubekommen. Alkohol getrunken, Cannabis geraucht, Computerspiele gespielt. Das ist eine super Mischung, wenn man sich nicht spüren möchte. Und wenn man nicht an die reale Welt denken möchte.“

Laslo P., war medienabhängig

Mit Therapie zurück ins Real-Life

So hat Laslo gelernt, auch das reale Leben wieder an sich heranzulassen. Sich selbst zu spüren und ein Gefühl für die eigenen Emotionen und Bedürfnisse zu bekommen ist wichtig, um einer Sucht vorzubeugen. Das hat er in der Therapie geübt.

„Es sind Menschen, die es nicht schaffen, den Konsum zu kontrollieren und wieder einzuschränken. Im Netz ist es die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung. Wenn ich in sozialen Netzwerken ein Bild von mir mit meiner neuen Sonnenbrille poste, bekomme ich in einer Stunde 20 Likes. Im Real-Life kommt wegen der neuen Sonnenbrille wahrscheinlich keiner auf mich zu. Diese schnelle Bedürfnisbefriedigung im Netz ist das Suchtfördernde.“

Gordon Schmid, Leiter der Suchtberatungsstelle „Lost in Space“

Es ist kein Problem, wenn der ein oder andere Nachmittag mit einer neuen Serie verbracht wird. Oder ein neues Computerspiel ein Wochenende ausgiebig gespielt wird. Problematisch wird es, wenn das Computerspielen zu einem Rückzug aus dem echten Leben führt. Wenn das virtuelle Leben das echte Leben verdrängt.

Erwachsene ebenso gefährdet

Es ist ein Irrtum, dass nur Kinder und Jugendliche computerspielsüchtig werden. Das Durchschnittsalter in der Beratungsstelle Lost in Space liegt beim 25 Jahren. Unter den Patienten sind 14-Jährige, die von den Eltern geschickt werden, ebenso wie 60-Jährige. 90 % der Patienten sind Jungen oder Männer. Frauen sind seltener computerspielsüchtig. Sie tendieren eher zu sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram.

Dem Kind ab und zu das Smartphone in die Hand zu geben um etwas Ruhe zu haben findet der Suchtexperte ok. Es darf aber nicht der einzige Belohnungsmechanismus sein. Oder genutzt werden, um Konflikte zu vermeiden.

Aktuell zeigen etwa 2-3 % der Menschen ein süchtiges Verhalten. Der Großteil der Menschen hat noch einen gesunden Umgang mit den Medien, findet das echte Leben interessanter als virtuelle Welten. Wer aber noch eine Begleiterkrankung wie Depression oder Angststörung hat, ist viel anfälliger dafür, in die Sucht zu geraten. Je unangenehmer die echte Welt, desto verlockender die virtuelle.

Nicht die Spielzeit ist das Kriterium

Ausschlaggebend ist weniger die Stundenanzahl, sondern wie das restliche Leben aussieht. Gibt es noch Hobbys wie der Fußballverein, gibt es Treffen mit Freunden im echten Leben? Dann ist die Mediennutzung auch kein Problem.

„Die Entzugserscheinungen sind ähnlich zu Cannabis-Konsum: Unruhe, Zittern, Schlafstörungen.“

Gordon Schmid, Leiter der Suchtberatungsstelle „Lost in Space“

Internet und Spiele sind für die meisten Kinder schon völlig normal. Viele Schulen und Eltern sind deshalb mittlerweile für das Thema Computerspiele, Internet und Sucht sensibilisiert. Deshalb bieten manche Grundschulen Workshops für den richtigen Umgang mit Medien an. Sonja Vukovic macht in solchen Workshops Kinder fit für den Umgang mit Computer und Smartphone.

„Wenn ich bei einem Spiel gewinne, fühle ich mich richtig gut. Dann fühlt man sich, als wäre man etwas besonderes.“

Kind, ca. 6 Jahre

Das menschliche Gehirn mag Likes

Die Workshop-Leiterin Vukovic erklärt den Kindern spielerisch, was im Gehirn passiert, wenn man ein Like bekommt. Warum man sich dann gut fühlt und warum es einfacher ist, nur über Whatsapp zu schreiben. Wichtig sind diese Workshops vor allem für Eltern. Für sie wird die Herausforderung immer größer, sie fühlen sich ohnmächtig.

„Wenn es nach ihr gehen würde, wenn wir nicht die Zeit am Handy limitieren würden, wäre sie am liebsten den ganzen Tag im Internet. Das Handy aus der Hand zu legen fällt schwer.“

Mutter des Kindes

„Ich finde, alles was über eine Stunde hinausgeht, wenn ich merke, er kann nicht mehr aufhören. Immer noch mehr, die vorgegebene Zeit wird nicht eingehalten. Wenn mit der Konsole dann Schluss ist, geht der Blick zum Handy. Es ist unheimlich schwierig.“

Eine andere Mutter

Kinder gegen Sucht stark machen

Die Arbeit mit den Eltern soll dazu führen, dass Kinder erst gar nicht in eine Abhängigkeit geraten. Die Erziehung ist ein wichtiger Punkt, um Stärke und Resilienz aufzubauen. Vukovic wiegelt aber ab, die Ursachen einer Sucht alleine in einer fehlgeschlagenen Erziehung oder auch in einem einzigen andere Punkt zu suchen.

„Ursachen von Sucht sind immer sehr komplex. Die Antworten des einen sind nie auch die Antworten für andere Kinder.“

Sonja Vukovic, Journalistin und Autorin

In ihrem Buch fällt auf, dass es bei den Süchtigen und deren Familien einen Mangel an Urvertrauen gab. Das Gefühl, dass man selbst und die Welt im Großen und Ganzen in Ordnung ist. Fehlt dieses Urvertrauen kann man das später nie wirklich aufbauen.

„Ich kann ganz klar unterschreiben, dass es mehr werden. Wir merken einen ganz klaren Anstieg.

Gordon Schmid, Leiter der Suchtberatungsstelle „Lost in Space“