Pro 7 Video: Gaming-Sucht in Korea | Galileo

Sucht nach Videospielen wird in Deutschland immer häufiger. In Asien und speziell Südkorea ist die Situation noch dramatischer. Das Wissenschaftsmagazin Pro Sieben Galileo besucht einen koreanischen Spieler, der sich in einer spezialisierten Klinik untersuchen lässt. Sie entdecken dabei unorthodoxe Behandlungen wie Elektroschocks.

Das Wissenschaftsmagazin Pro Sieben Galileo besucht einen koreanischen Spieler, der sich in einer spezialisierten Klinik untersuchen lässt.

Seoul, Südkorea ist so etwas wie das Mekka des E-Sports. Aus dem Hobby hat sich hier eine riesige Industrie entwickelt. Das zeigt ein Blick auf die Straße oder in die U-Bahn. Fast jeder spielt mit dem Smartphone. Mobiles zocken ist in Seoul völlig normal.

Millionenpreisgeld für E-Sport-Events

Computerspiele sind so erfolgreich, dass sich auf den Profi-Events Spielerteams battlen, die so viel verdienen wie Fußballstars. In ihrem Rücken sitzen Supporter, ganz wie bei Profi-Fußballern. Sie sind gefeierte Helden ihrer Generation. Gerade aus dem Teenageralter raus, sind einige dadurch schon Millionär geworden.

Im Schatten der wachsenden Spielebranche gibt es viele, die nach Computerspielen süchtig geworden sind. Es wird geschätzt, dass jeder 7. Jugendliche süchtig nach Videospielen, Internet oder sozialen Netzwerken ist.

„Ich spiele sieben Tage die Woche, jeden Tag von früh bis spät. Bis auf 2 Stunden, die ich frei zur Verfügung habe. In der Woche sind das um die 70 Stunden.“

Unbekannt, Profispieler

Für den Profi-Spieler wäre das Alltag. Doch ist dieses Pensum auch für Hobbyspieler normal? Und wann fängt die Sucht an?

E-Sport-Profikarriere unwahrscheinlich

Für die allermeisten Spieler ist eine Profi-Karriere allerdings ebenso unrealistisch wie der nächste Ronaldo zu werden. Für sie bleibt es ein Hobby. Das kann allerdings auch ausufern. Und ein Problem werden.

Um das aus nächster Nähe zu sehen, besucht das Reporter-Team den 27-jährigen Wong Su. Sie wollen verstehen, warum Jugendliche fast ihre gesamte Zeit vor dem Computer verbringen.

Die Reporter finden Wong in seiner schlicht eingerichteten Ein-Zimmer-Wohnung. Spärlich eingerichtet, Bett, Kommode, Tisch. Einzig die beiden großen Bildschirme fallen ihnen auf. Wie sie erwartet haben, läuft auf dem größeren Bildschirm ein Online-Spiel. Der kleinere ist ein digitales Zeichenboard, Wongs Arbeitsplatz. Wong ist von Beruf Zeichner.

„Während ich arbeite spiele ich nicht, aber ich gucke anderen zu, wie sie spielen. So habe ich zumindest ein bisschen was davon.“

Wong Su, 27 Jahre

Zufällig ist während dem Besuch seine Freundin da. Er nimmt sie kaum wahr, ist zu abgelenkt durch die Bildschirme. Auch das Kamera-Team beachtet er schon nach Minuten nicht mehr. Seine Aufmerksamkeit gehört dem Spiel.

Geheimnisse vor der Freundin

Währenddessen spricht seine Freundin mit dem Kamerateam. Sie überwacht, dass er seiner Arbeit nachkommt, damit er durch das Spielen nicht auch noch seine Arbeit vernachlässigt.

„Er spielt 5 Tage die Woche, 4-6 Stunden am Tag. Manchmal spielt er auch den ganzen Tag.“

Wong Sus Freundin

„Ich kann Dir erst die Wahrheit sagen, wenn sie weg ist. Vor ihr kann ich dir nicht sagen, wie viel ich wirklich spiele.“

Wong Su, 27 Jahre

Als die Freundin die Wohnung verlässt, zeigt sich, dass das ernst gemeint ist. Sowie die Tür ins Schloss fällt, legt er das Zeichenboard weg.

„Das ist die beste Situation, die es gibt. Die Freundin ist aus dem Haus und ich kann machen, was ich will. Gamen.“

Wong Su, 27 Jahre

27 Millionen Spieler täglich in League of Legends

Wongs Lieblingsspiel ist League of Legends. Das Spiel ist auf der ganzen Welt verbreitet. Mit rund 27 Millionen Spielern täglich ist es eine Goldgrube für den Hersteller. Als das Spiel beginnt, ist er kaum noch ansprechbar, immerhin schafft er es, nebenbei noch ein paar Fragen der Reporter zu beantworten.

„Früher war ich wirklich wütend, wenn ich verloren habe. Mein ganzer Tag war dann ruiniert. Und ich habe anderen die Schuld gegeben, dass ich verloren habe. Heute habe ich mich an das Verlieren gewöhnt. Dafür spiele ich dann umso mehr, so lange bis ich wieder gewinne. Dann spiele ich den ganzen Tag, von früh bis spät in die Nacht. Ich vergesse die Zeit, vergesse zu essen. Wenn meine Freundin da ist, muss sie mich erinnern, zu essen. Wenn sie nicht da ist, esse ich den ganzen Tag nichts.“

Wong Su, 27 Jahre

Die Reporterin möchte wissen, wo er seine restliche Freizeit verbringt. Sie hat offensichtlich noch die Hoffnung, dass Wong ein Hobby außerhalb der virtuellen Welt hat. Dann erzählt er ihr von PC-Banks.

PC-Banks sind die neuen Spielhöllen

Wong nimmt sie und das Reporterteam kurzerhand mit. Er zeigt einen Ort, der die Reporterin verblüfft. Sie ist erstaunt vom Anblick von hunderten PCs, voll besetzt mit Jugendlichen und jungen Männern, die in einer umgebauten Kellerhalle vertieft spielen. Die meisten in dieser Spielhölle sind Schüler und Studenten. Sie sind hier, weil die Stunden hier günstiger sind als Kino, Tierpark und andere Freizeitmöglichkeiten. Eine Stunde zocken kostet nur einen Euro. So lange sie wollen, denn die meisten PC-Banks haben rund um die Uhr geöffnet.

Wong Su geht meist 1 mal in der Woche in eine PC-Bank, vor allem, um mit seinen Freunden zu spielen. Seltener alleine, dann allerdings um von zuhause wegzukommen. Obwohl die meisten ebenfalls mit Freunden hierherkommen, fällt auf, dass untereinander gar nicht geredet wird. Allenfalls in der Chatbox des Spiels kommt so etwas wie Kommunikation vor.

Spielen macht das Gehirn glücklich

Wissenschaftler der Stanford University School of Medicine erklären den Erfolg von Videospielen durch die Aktivitäten im Gehirn. Während des Spielens sind die Belohnungszentren im Gehirn sehr aktiv. Das verschafft uns Befriedigung und ein gutes Gefühl. Bei Männern noch stärker als bei Frauen. Deshalb verlieren die Spieler das Zeitgefühl.

„10 Stunden. Die PC-Banks sind eben gemütlich. Hier gibt es bequeme Sitze, eine gute Internetverbindung und sie sind extrem günstig. Außerdem sind sie mittlerweile Teil der koreanischen Kultur. Menschen, die süchtig sind, verbringen hier aber auch schon mal 30-40 Stunden“.

Unbekannt, Besucher der PC-Bank

Der Grund könnten die koreanischen Schulen und Unis sein, die zu viel Leistungsdruck erzeugen. Da ist die Flucht in die virtuelle Welt verlockend. Die Spielhöllen haben sich darauf eingestellt und bieten kleine Snacks an. Dafür müssen die Spieler den Platz gar nicht verlassen.

Einige der Interviewpartner finden, dass Computerspielen Ähnlichkeiten mit stofflichen Drogen hat. Sie nennen Online-Spiele wie League of Legends „Heroin aus der Steckdose“. Als Beleg für die drastischen Worte erzählen sie Geschichten von Spielern in PC-Banks, die nach 50 Stunden spielen am Stück einfach tot umfallen.

Behandlungsversuche

Als Reaktion auf die Probleme mit Computerspiel-Süchtigen haben sich auch in Seoul medizinische Angebote und spezialisierte Suchtkliniken gebildet. In so einer Klinik soll sich Wong am nächsten Tag untersuchen lassen.

Die Klinik Easy Brain ist spezialisiert auf Gaming-Junkies. Das Kamerateam darf ihn bei der Untersuchung begleiten. Wong möchte seiner Freundin beweisen, dass er nicht süchtig ist.

„Von der Onlinespiel-Sucht sind meistens männliche Schüler betroffen. Die Mädchen sind eher süchtig nach Facebook oder anderen sozialen Medien.“

Prof. Li, Leiter der Klinik

Durch die Masse an betroffenen hat sich die koreanische Regierung schon vor Jahren eingeschaltet. Um Kontrolle über die Situation zu bekommen, hat sie etwa das Shutdown-Gesetz erlassen. Es verbietet Unter 16-jährigen in der Zeit zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens zu spielen.

Gesetzliches Spieleverbot in der Nacht

400 Patienten kamen am Vormonat in die Klinik. Die Methoden der Klinik muten skurril an. Um herauszufinden, ob Wong Su bereits süchtig ist, verwendet sie Elektroenzephalografie (EEG). Wong Su bekommt dazu ein Netz aus Elektroden über den Kopf gezogen. Mit einer Messung sollen angeblich Irregularitäten in seinem Gehirn festgestellt werden. Ein Verfahren, das zur Diagnose von Computersucht eigentlich nicht geeignet ist.

Behandlung vor Diagnose

Doch schon vor der Auswertung bereitet der Professor schon die erste Behandlungsmethode vor. Das Gerät ist ein handlicher Elektroschocker, mit dem kleine Elektroschocks am Kopf ausgelöst werden. Beim Test an der Hand ist deutlich, zu sehen, wie die Hand beim Auslösen des Geräts zuckt. Wong Su bekommt Bedenken.

Das Verfahren nennt sich transkranielle Magnetstimulation. Es soll laut Prof. Li den Frontallappen stimulieren. Durch die Computerspiel-Sucht sei dieser schwach geworden. Deshalb könne sich der Patient nicht mehr regulieren. Die Stromstöße sollen helfen, den Wunsch nach dem Spiel besser zu kontrollieren. 20 Minuten lang bekommt Wong Su nun sekündlich kleine Stromstöße, es ist ersichtlich, wie Augenlider bis hin zu den Fingern leicht zucken.

Erleichterung

Erst jetzt steht das Ergebnis der Diagnose fest. Für Depression, Angst und Aggression bescheinigt ihm der koreanische Professor Werte im normalen Bereich. Die Schwelle zur Sucht habe er nicht überschritten. Ein erhöhtes Risiko, abhängig zu werden habe Wong Su jedoch schon. Ihm wird geraten, die Spielzeit stark einzuschränken.

„Ich bin sehr erleichtert, dass ich nicht süchtig bin. Professor Li hat mir geraten, meinen Lebensstil zu ändern. Diesen Rat nehme ich schon ernst. Ich will mich ändern, für eine positive Zukunft.“

Anmerkung

  • Das im Beitrag kritisierte Verfahren der transkraniellen Magnetstimulation ist nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zur Behandlung von Computerspiel-Sucht geeignet.
  • Selbstverständlich sollten die Ergebnisse einer Diagnose immer abgewartet werden, bevor eine Behandlung beginnt.