DW Video: Computer-Sucht | FĂŒr viele Jugendliche ein Problem

Die Sendung “Politik direkt” (Deutsche Welle TV) berichtet von Marcel, der von World of Warcraft abhĂ€ngig wurde. Mithilfe von Psychologen und der Website rollenspielsucht.de (leider mittlerweile offline) hat er es geschafft, wieder davon loszukommen.

Vor 4 Jahren wollte Marcel ein Held sein. Auf der Suche nach Anerkennung und Abenteuer, das ihm sein echtes Leben nicht bieten wollte. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, er verbrachte seitdem immer mehr Zeit vor dem Computer.

Das Computerspiel World of Warcraft gab ihm die Anerkennung, die er brauchte. Deshalb verbrachte er immer mehr Zeit online. Irgendwann gab es nur noch das Spiel. Er verbrachte nun mehr als 8 Stunden tÀglich mit Kriegern und Zauberern in der virtuellen Welt.

„Da kannte mich auch niemand, es hat auch niemanden interessiert, ob ich ein totaler Versager bin, da war ich jemand anderes, jemand gutes, verstehen Sie? Einfach Anerkennung.“

Marcel, ehemaliger World of Warcraft-Spieler

Endlich ein Held sein

Sein Avatar, die Spielfigur, war ein mĂ€chtiger und großer Krieger. So sah sich Marcel gerne. WĂ€hrenddessen leidet sein reales Leben. Mutter und Freunde haben schlechte Erinnerungen an diese Zeit. Sie sind heute froh, wieder normal mit Marcel reden zu können.

„Ich bin manchmal hin und habe den Stecker gezogen. Dann gab es heftigste Diskussionen – er ist dann richtig ausgeflippt. Ich hab‘ mich dann zu ihm gesetzt und gemeint: Du bist doch sĂŒchtig.“

Marcels Mutter

Letzte Chance NachprĂŒfung

Diese Einsicht hat Marcel, wie vielen anderen ComputerspielsĂŒchtigen, lange gefehlt. Bis er vor ein paar Wochen selbst entschieden hat, den Stecker zu ziehen. Gerade rechtzeitig, hofft er. Durch das exzessive Online-Spielen hat er die Schule so vernachlĂ€ssigt, dass er den Schulabschluss fast vermasselt hĂ€tte. Die NachprĂŒfung ist jetzt seine letzte Chance. Auch seine Angehörigen hoffen, dass er die Kurve noch kriegt.

„Ich habe die Accounts beschlagnahmt, Email- und Passwort geĂ€ndert. Er hat nun keine Chance, da wieder dranzukommen.“

Ein Freund von Marcel

Trotzdem bleibt es schwierig. Um weiterzuspielen reicht ein beliebiger PC mit Internetzugang. World of Warcraft ist mit mehr als 11 Millionen Spielern weltweit (2009) enorm erfolgreich. Durch die Art, wie das Spiel designt ist, ist es fĂŒr Jugendliche wie Marcel besonders gefĂ€hrlich. FĂŒr den Hersteller hingegen ist es ein voller Erfolg. Der Jahresumsatz wird auf 1 Milliarde Dollar geschĂ€tzt.

Wachsendes Problembewusstsein in der Politik

Deshalb ist die Politik auf das Problem aufmerksam geworden und hat eine Studie beauftragt. Der Psychologe Kay Petersen hat alle einschlÀgigen Studien zu Online- und Internet-Sucht gesichtet. Sein vorlÀufiges Ergebnis:

„Letztlich ist es ein suchtartiges Verhalten, zeigt Kriterien wie Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen und Einengung auf dieses Verhalten – wie bei SĂŒchten.

Kay Petersen, Psychologe

Alarmierende Zahlen

Dennoch steht die Forschung noch ganz am Anfang. Deshalb gibt es Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Computerspiel-Sucht als vollwertige Krankheit (Stand 2009). Die Anerkennung ist wichtig, damit Krankenkassen Behandlungskosten ĂŒbernehmen können. Dabei ist der Drogenbeauftragten der Bundesregierung das Problem bewusst.

„Ich glaube, dass die Mediensucht die Suchtform der Zukunft sein wird. Da sind jetzt schon 3 % der 12 bis 18-jĂ€hrigen Jungs abhĂ€ngig, 0,3 % der MĂ€dchen. Das sind alarmierende Zahlen, wir dĂŒrfen da nicht untĂ€tig bleiben.“

Sabine BĂ€tzing, SPD, Drogenbeauftragte

Deshalb hat das Bundesministerium zu einer internationalen “Konferenz zu Internet-, Online- und Computersucht” geladen. Es wird offensichtlich, dass Computerspiel-Sucht ein weltweites PhĂ€nomen ist.

Asiatische LĂ€nder wie China und SĂŒdkorea sind noch viel dramatischer betroffen. Hier hat sich eine rege E-Sport-Szene entwickelt, Computerspiele sind noch viel tiefer in der Gesellschaft angekommen.

Wissenschaftler vs. Spielehersteller

Über die Ursachen exzessiven Online-Spielens streiten sich Wissenschaftler und Spielehersteller. Die Spielehersteller wollen sich nicht den schwarzen Peter zuschieben lassen.

„Das Spiel selbst ist schuld, denn es ist so konstruiert, damit es abhĂ€ngig macht. Es hat in den Belohnungsstrukturen GlĂŒcksspielcharakter und das hebt es zwischen den anderen Spielen weltweit heraus. Deshalb erreicht es doppelt bis dreifach so hohe Suchtquoten wie die anderen Spiele.“

Christian Pfeiffer, Computerspiel-Experte

„Dem liegt immer etwas zugrunde, eine Störung. Oft sind es Menschen, die in ihrem realen Leben wenig bis gar keine Erfolgserlebnisse haben, eigentlich nur Frustrationserlebnisse und da kann es leicht passieren, dass etwas im Leben außer Balance gerĂ€t. Da sind aber nicht die Spiele schuld, sondern das, was im Leben schief gelaufen ist.

Martin Lorber, Electronic Arts Germany (Spielehersteller)

Verein Aktiv gegen Mediensucht

Eine Vorreiterrolle in Deutschland von ganz unerwarteter Seite spielt Familie Hirte. Sie betreiben viel Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema. Ihr Sohn war Informatikstudent und einer der offiziellen Tester des Spiels. Dann wurde er selbst abhĂ€ngig.

„Wir haben unseren Sohn ans Internet, an World of Warcraft verloren.“

Christine Hirte, Initiatoren von rollenspielsucht.de

Die Eltern mussten hilflos mit ansehen, wie der eigentlich erfolgreiche Student zunehmend mehr spielte. Er erzÀhlt seinen Eltern, dass er nicht der einzige Tester sei, dem das passiert. Sie haben auch keine Idee, was sie falsch gemacht hÀtten. Können nicht verstehen, warum ihr Sohn lieber in der virtuellen als in der realen Welt lebt.

„Er hat sich schon eingestanden, dass eine Therapie notwendig wĂ€re, einen stationĂ€ren Aufenthalt konnte er sich aber nicht vorstellen. Er meinte, er mĂŒsse abends ja ins Internet, an der Klinik wĂŒrde das nicht gehen.

Deshalb hat er am Ende gesagt er schafft das nicht, hat seine Sachen gepackt und ist gegangen. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört, das ist zwei Jahre her.“

Christine Hirte, Initiatoren von www.rollenspielsucht.de

Ein Forum fĂŒr Betroffene und Angehörige

Das ist der Zeitpunkt, als die Eltern an die Öffentlichkeit gehen. Sie erstellen mit der Website rollenspielsucht.de/aktiv-gegen-mediensucht.de (leider offline) eine Anlaufstelle fĂŒr Betroffene und ihre Angehörigen. Mit einer halben Million Besuchern ist die Website enorm erfolgreich. Das zeigt, wie groß der Bedarf in Deutschland nach Hilfsangeboten ist. In den Foren können sich die Besucher auch untereinander austauschen. So haben die Hirtes vielen beim Ausstieg aus der Computerspiel-Sucht geholfen.

Einer von ihnen ist Marcel. Auch er hat im Forum Hilfe gefunden. Im Aussteigerforum bekommt er Hilfe und UnterstĂŒtzung.

„Manchmal möchte ich am liebsten wieder zurĂŒck, manchmal denke ich, na gut, es ist schwer. Aber irgendwann hast du es dann geschafft.“

Marcel, ehemaliger World of Warcraft-Spieler

Es ist ein schwieriger, langer Weg zurĂŒck ins Real Life.