Arte Doku: Web Junkies | Chinesische Computersüchtige

Der Umgang mit Computerspiel-Süchtigen in China ist äußerst hart. Nach Zwangseinweisungen finden sich die Jugendlichen mitunter in geschlossenen Kliniken mit militärischem Charakter wieder. Hier kommen neben Einzel-, Gruppen-, und Familientherapie auch Maßnahmen wie Isolationshaft zum Einsatz. Die israelische Doku berichtet über eine solche Klinik in Peking.

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 „Aufstehen – Marsch, alle aufstehen. Schaltet das Licht ein“, ruft ein Aufseher und bläst in seine Trillerpfeife. Die jungen Männer stehen in Reihe wie beim Militär. Auch ihre Kleidung sieht nach Uniform aus. Dann auf dem Hauptplatz ein Drill, der ebenfalls nach Militärübung aussieht. Strecken und Bewegen auf Zuruf, marschieren auf der Stelle.

China war das erste Land, das Internet-Sucht bei Jugendlichen als ernst zu nehmende Krankheit und als gesellschaftliches Problem einstufte.

„Ich möchte mit meinem Vater sprechen. Warum bin ich hier, können sie mir das verraten?“

Wang, 16 Jahre

Der junge, schüchterne Mann wirkt gegenüber der Ärztin unbeholfen und etwas weggetreten. Sie fragt geduldig, warum er nicht mehr mit seiner Familie spricht. Wann er das letzte Mal in der Nacht nach Hause gekommen ist.

„Mein Vater arbeitet den ganzen Tag. Und abends gehe ich aus. Ich sehe ihn nie.“

Wang, 16 Jahre

Er hätte schon mit ihm geredet, wenn der Vater mit dieser Zwangseinweisung gedroht hätte. Nun muss er mindestens einen Monat bleiben, freiwillig ist er nicht da. Ihm fehle auch der der Sinn für die Realität.

Therapie im Stil eines Gefängnisses

Der Überwachungsmonitor zeigt Kameraeinstellungen aus den Zimmern der Männer. Es entsteht der Eindruck eines Gefängnisses. In der nächsten Szene sitzen die Männer auf dem Gang vor den Türen ihrer Zimmer. Der Aufpasser ermahnt zum Geradesitzen, verlangt, dass sie für die nächste halbe Stunde so verharren. Keiner der Jugendlichen oder jungen Erwachsenen wirkt glücklich oder auch nur zufrieden.

Am Anfang bekommt jeder seinen eigenen Psychologen. Auch die Eltern bekommen einen Psychologen zugeteilt, erzählt die Ärztin einem besorgten Elternpaar. Es sei zwar ein Krankenhaus, zugleich aber auch eine Schule, angegliedert an das Militärkrankenhaus Peking. Das passt zum strengen, militärischem Umgang mit den Patienten.

Sie macht den Eltern Mut. Es gebe häufig Patienten, die einen ähnlich langen Leidensweg hinter sich haben. Die alle nicht mehr zur Schule gehen, manche seit Jahren.

„Lass mich gehen. Ich will nicht mehr hierbleiben. Wie oft soll ich das noch sagen. Willst Du mich umbringen.“

Wang, 16 Jahre

Als der Arzt versucht, die Zimmertür zu öffnen, fliegt ein Gegenstand durch die Luft, ihm bleibt nur mehr der Rückzug und das Sicherheitspersonal zu rufen.

Belogen, betäubt, zwangseingewiesen

Der junge Mann ist aufgelöst und weint. Als er sich beruhigt, erzählt er, dass manche belogen oder betäubt wurden, um sie in die Einrichtung zu bringen. Meistens seien es die Eltern, manchmal auch das Personal des Krankenhauses, das die Patienten zwangsweise hier her bringt. Einer soll im Schlaf von sechs oder sieben Aufsehern überrascht worden und dann ins Krankenhaus gebracht worden sein. Erst hier sei er wieder aufgewacht sein.

„Mein Vater hat mich angelogen dass wir zum Skifahren nach Russland fliegen. Am Tor stand dann aber psychiatrische Einrichtung für chinesische Jugendliche. Ich dachte, dass es mir gut ging, ich ein, zwei Tage bleiben und dann wieder nach Hause fahren könnte. Aber hier können alle wieder erst nach drei Monaten weg.“

Wang, 16 Jahre

Er habe täglich zehn Stunden gespielt, World of Warcraft. Jetzt fühlt er sich wie in einer psychiatrischen Zerstörungsanstalt – seine Gedanken sollen zerstört und durch andere ersetzt werden. Er findet, das sei Gehirnwäsche.

„Er verlor die Kontrolle über die Videospiele, spielte 40 Tage am Stück. Aß und schlief über 40 Tage lang nicht. Zuhause habe ich dann den Stecker des Computers gezogen und das Kabel versteckt.“

Wangs Vater

Eine andere Mutter erzählt, dass ihr Sohn durch das Internet alle seine Freunde verloren habe. Anfangs kamen noch seine Klassenkameraden vorbei, aber mitgegangen sei er nie mehr. Sie fühlte sich hilflos, befürchtete, dass er psychischen Schaden davontragen könnte. Das Computerspiel habe ihn schlaflos, krank gemacht, auch Körperhygiene war ihm egal.

Die Gänge im Krankenhaus sind mit Gitterwänden abgetrennt. Die Jugendlichen sitzen wieder zum Appell am Boden vor ihren Zimmern. Immerhin seien die Meisten emotional unauffällig – soll heißen nicht aggressiv.

In der Behandlung kommt Neurofeedback zum Einsatz. Der Aufwand sei gerechtfertigt, sagt der Behandler in Militäruniform. Internet-Sucht ist in China ein riesiges Problem. Man muss sie als Krankheit bezeichnen – sonst müsste man sie ja auch nicht hier behandeln.

Elektronisches Heroin

Die Internetsucht verändere die Gedanken, die kognitiven Funktionen seien eingeschränkt. Die Kranken hielten die virtuelle Welt für interessanter als die Reale. Die Jugendlichen verbrachten vor der Einweisung ihre gesamte Freizeit vor dem Computer, also mehr als sechs Stunden täglich.

„Das Ausmaß dieser Abhängigkeit können wir normale Menschen uns gar nicht vorstellen. Mancher Jugendliche wird zum Sklave seines Computers. Er fürchtet sich davor, zur Toilette zu gehen, weil das ja sein Spiel unterbrechen würde. Also trägt er Windeln. Das ist genau wie bei Drogenabhängigen. Die sehnen sich tagein tagaus nach Heroin.“

Ein Arzt der Einrichtung

Die Online-Süchtigen sind den ganzen Tag begierig auf der Suche nach einer Möglichkeit, wieder online zu gehen und weiter zu spielen. Deshalb nennt es der Arzt „elektronisches Heroin“.

„Es gibt nichts zu sagen. Egal was ich sage, ihr glaubt mir ja doch nicht.“

Wang, 16 Jahre

Familientherapie ist Teil des Konzepts. In der Sitzung erzählt der Vater enttäuscht, dass er ihm früher geglaubt habe. Als er entdeckte, dass der Sohn ins Internetcafé anstatt zu seinen Freunden ging, hat sich das geändert. Die Mutter hofft, dass der Sohn ihre Sorgen versteht.

„Wie es im Herzen deiner Mutter aussah, wenn sie das Klackern der Tastatur hörte. Ich musste mit ansehen, wie mein Sohn die Schule schmiss und computersüchtig wurde.“

Mutter eines Betroffenen

Es mache ihr Angst, an den Bilder im Fernsehen und Kino zu sehen, wohin die Sucht führen kann.

„Ich habe vor dem Internetcafé gewartet. Habe gedacht: Das ist der Abgrund, der meinen Sohn verschlingt. Ich war hilflos wenn ich vor der verschlossenen Tür stand. Du glaubst, du hast alles unter Kontrolle, aber ich habe gesehen, dass das nicht stimmt. Du hast auch mich in den Abgrund gestürzt. Dich hier her zu schicken war der einzige Ausweg.“

Mutter eines Betroffenen

Die Therapeutin versucht zu vermitteln, der junge Mann wirkt mitgenommen. Einen Moment scheint die Mutter zu ihm durchzudringen. Er lehnt ab.

Morgensport steht ebenfalls am Tagesprogramm, Spaß scheint am militärisch anmutenden Lauftraining auf dem Sportplatz scheint jedoch keiner zu haben. Später im Klassenzimmer dreht es weiter alles um das Thema „Sind Computer Werkzeug oder Spielzeug?“ Es klingt nicht überzeugend, als drei der Jugendlichen hintereinander konstatieren, Computer wären ein Werkzeug.

„Ihr seid vielleicht Computerspezialisten, aber ihr seid unfähig, etwas anderes zu tun.“

Der Lehrer versucht auf die neurologischen Veränderungen einzugehen, die eine Sucht bewirken kann. Soziale Kompetenzen müssen sich im Gehirn entwickeln. Während des Computerspielens passiert das nicht. Ohne soziale Kompetenz bleibt nur der ängstliche Rückzug. Ein Teufelskreis.

„Sie vertrauen niemanden mehr, sie sind verschlossen und unreif.“

„300 Stunden ist mein Rekord. Nein, nicht am Stück“. Wenn man müde ist, schläft man im Sitzen, aber nur ganz kurz, nie lange.“

Beim Kartenspielen im Zimmer der Jugendlichen wird vor laufender Kamera klar, dass sie noch immer stolz auf Ihre Spielzeit sind. Einer prahlt, die kompletten Sommerferien durchgespielt zu haben, der nächste erzählt stolz von dem hohen Level seines Avatars. World of Warcraft-Spieler seien sehr intelligente Leute, auf Schule haben sie jedoch alle keine Lust.

„Ich will weg“

Aber auch die Eltern müssten therapiert werden. Die Klinik lädt sie vor und behandelt sie gemeinsam mit ihren Kindern. Für die Eltern gibt es Gruppentherapie. Das Ziel ist für Gaos Vater, dass Gao nicht mehr computerspielt. Dass er arbeiten kann und ein normales Leben führt. Zurzeit sei er von der Schule beurlaubt. In der Familie wird kaum gesprochen. Früher war er ein braves, kluges Kind.

Selbstkritisch erzählt der Vater, dass er in Konflikten jähzornig ist, dass er den Jungen schlägt, Konflikte mit Gewalt regelt. Selbst mit einem Messer habe er seinen Sohn bedroht, um endlich zu ihm durchzudringen.

„Wenn ich später gefragt werde wo ich war, und ich muss sagen, ich war in einer Klinik um meine Internet-Sucht zu behandeln? Oh Scheiße, mir ist es, peinlich so was auszusprechen.“

Gao, 15 Jahre

Am meisten fehle ihm Jaeo, seine erste Liebe, eine Internetliebe. Er habe sie über ein Spieleportal kennengelernt, dann über ein halbes Jahr lang mit ihr zusammen gespielt. Er habe sie sogar dann persönlich getroffen. Mehr will er nicht mehr erzählen als die anderen Jungen zu kichern anfangen.

Es ist so leicht tausendmal „ich liebe dich“ zu schreiben, einfach mit Copy & Paste.

Man kann spüren, dass ihm bewusst ist, wie viel schwerer ihm das Leben abseits des Internets fällt.

„Was könnten wir nur für gute Kinder sein, wenn wir gute Noten nach Hause bringen würden. Meine sind echt schlecht, dafür kann ich gut spielen. Wenn man gewinnt, fühlt man sich gut. Dann ist man wenigstens da besser als andere.“

Gao, 15 Jahre

Es ist in der Nacht, als auffällt, dass sieben der Jugendlichen durch das Fenster aus der Klinik getürmt sind. Nicht lange und sie werden von dem Sicherheitspersonal wieder gestellt. Sie fuhren mit einem Taxi direkt ins nächste Internetcafé, sechs Stunden unterwegs, ohne etwas zu essen. é, sechs Stunden unterwegs, ohne etwas zu essen. Der Anführer der Ausbrecher wird als Strafe zehn Tage im Isolierzimmer verbringen.

„Die Ausreiser sind widerspenstiger als die anderen. Deshalb müssen wird Maßnahmen ergreifen, um sie nicht nur in der Gruppe, sondern auch einzeln zu therapieren. Also kommen sie in ein Isolierzimmer. Dort dürfen sie mit niemanden sprechen. Das dient der Selbstfindung.“

Ein Arzt

Er muss Schuhe und Socken abgeben. Um auf die Toilette zu gehen, muss er in dieser Zeit das Personal rufen. Die Zimmertür wird abgesperrt. Währenddessen verteilt die Leitung die „Vereinbarung zur Isolations- und Selbstfindungstherapie“ an die Angestellten. Der Ausreißer darf keine Gegenstände in das Isolierzimmer mitnehmen, Lektüre nur in Absprache mit dem Arzt. Zur Selbstfindung muss er ein Tagebuch führen, mindestens 10.000 Zeichen lang pro Tag.

Isolationszelle für alle

Auch ohne Vergehen muss jeder Patient einmal während der 3-monatigen Behandlung für zehn Tage in das Isolierzimmer. Die Eltern scheinen vom Nutzen dieser Einzelbehandlung nicht so überzeugt wie das Personal.

„Findet Ihr, dass es ganz allein mein Fehler ist? Zuhause habe ich das Gefühl, nicht zu existieren. Ihr beachtet mich nicht. Im Netz habe ich Freunde, denen ich nicht egal bin. Ich kann mich an keinen einzigen Ausflug erinnern, an dem wir uns nicht gestritten hätten.”

Sohn in der Familientherapie

„Bei der geringsten Kritik bist du jedes Mal explodiert. 16 Jahre lang habe ich dich aufgezogen und versorgt. Und was hast du für uns getan?“

Vater in der Familientherapie

„Wenn du willst, kann ich mich ja umbringen. Dann schulde ich dir nichts mehr.“

Sohn in der Familientherapie

Die Stimmung eskaliert, der Sohn muss von den Therapeuten gehindert werden, auf den Vater loszugehen. Als er sich wieder beruhigt, bricht der Vater in Tränen aus. Beschämt dreht er den Kopf Richtung Wand. Alle wirken hilflos, Vater, Sohn und Therapeuten.

„Wenn ich einsam bin, spreche ich mit meinem Stoffbären oder mit meinem Computer… Meine Freunde sind nicht irreal. Am anderen Ende sitzen Menschen, die genauso einsam sind wie ich. Wir sorgen für einander. Gegenseitig. Sie brauchen mich genauso wie ich sie brauche.“

Sohn in der Familientherapie

Die Eltern arbeiten mit

Auch die Eltern bekommen Unterricht zum Thema Computerspiel-Sucht. Stress, Kummer, Einsamkeit, Leistungsdruck. Das Internet bietet einen Zufluchtsort, es ist da, um eine Lücke zu füllen. Das Internet wird bester Freund, beide werden zu Verbündeten. Der Vortragende geht mit den Eltern hart ins Gericht.

„Wir wollen immer nur, dass das Kind lernt. Solange du lernst, ist alles gut. Das Internet bietet Liebe und Zuwendung, die im echten Leben verwehrt blieben.“

Als der Junge aus dem Isolierzimmer wieder zurück in der Gruppe ist, berichtet er von Fixierungen. An Armen und Beinen soll er gefesselt worden sein. Er wirkt erschöpft, ungepflegt und kann den Fragen der Ärztin schwer folgen. Er bereut, dass er in das Internetcafé geflüchtet ist, er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Fortschritte kann er kaum benennen.

„Du musst dich jetzt benehmen wie ein Kind, das seine Eltern liebt. Du warst ziemlich mies. Jetzt hast du dich verändert.“

Die Ärztin

Die Doku schließt mit einer Szene der Verabschiedung. Die Jugendlichen umarmen sich, es entsteht der Eindruck, dass sie tatsächlich Freunde geworden sind. Wang verlässt mit gepacktem Koffer und seinem Vater die Klinik, als ihm von einem vergittertem Fenster hinterhergerufen wird: „Komm bald zurück“. „Fuck, nie mehr wieder. Garantiert nicht.“

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