Das Investigativ-Magazin Panorama des ARD erlebte nach einem provozierenden Bericht über Killerspiele einen Shitstorm. In diesem neuen Beitrag zeigt das Team mehr Fingerspitzengefühl und berichtet über Computerspielsüchtige.
Marc Olivers Leben beginnt erst nachmittags um halb 4. Dann kann er sich dem Computer widmen. World of Warcraft, Counterstrike, Battlefield. 8 oder mehr Stunden kämpft und schießt er gegen Terroristen und levelt sich durch Quests.
Dass ihn seine Mutter mehrmals ruft, nimmt er nur am Rande wahr. Er ist online mit seinen Spielkameraden verbunden. Selbst die mischen sich in den Streit mit der Mutter ein. Er ist nicht zur Mitarbeit zu bewegen. Auch ein zweiter Versuch 5 Minuten später scheitert.
„Meistens schreie ich meine Mutter an weil sie sagt, ich solle weniger zocken oder mal rausgehen, was anderes machen. Aber das will ich halt nicht weil es mir immer noch viel Spaß macht Counterstrike, Battlefield oder WOW zu spielen.“
Marc-Oliver, Computerspieler
„Für Marc-Oliver ist der Reiz immer da, allgegenwärtig. Alles kreist um den Computer, selbst wenn der mal aus ist. Ich finde, er vergeudet seine Zeit damit.“
Ute M., Mutter von Marc-Oliver
Eltern oft überfordert und hilflos
Die Mutter fühlt sich ohnmächtig, hilflos, traurig. Sie unternimmt einen dritten Versuch, droht den Internet-Router auszuschalten.
„Der Familienfrieden ist ihr wichtiger, deshalb lässt sie mich meistens auch weiterspielen.“
Marc-Oliver, Computerspieler
Der Reporter kann sich die Frage nicht verkneifen: „Hast du das Gefühl, dass du süchtig bist nach diesen Spielen?“ „Ja, bin ich. Die Spiele machen süchtig.“
„Es wäre nicht zu akzeptieren, dass man für ein Spiel 60 € bezahlt und nach 2 Stunden ist der Spaß vorbei. Klar sind die Spiele so angelegt, dass man möglichst lange Spaß daran hat.
Martin Lorber, Electronic Arts
Die Mutter schildert, dass es ein fließender Übergang ist. Eine Steigerung, die sie ihren Sohn kaum wiedererkennen lässt. Der sich schwer tut, ohne Computer zu sein.
Wissenschaftliche Erklärungsversuche für Computerspiel-Sucht
An der Berliner Charité versuchen Forscher herauszufinden, wie süchtig Computerspiele machen können. Dazu messen sie Hirnströme mit Elektroden am Kopf der Spieler. Ihren Ergebnissen nach zeigen 6-7 % der Spieler Suchtverhalten.
„Diese emotionale Zuwendung zu Computerspielen konnten wir zum Beispiel auch bei alkoholkranken Patienten zeigen, denen wir Bilder zu Alkohol gezeigt haben.“
Dr. Sabine M. Grüsser-Sinopoli, Medizinische Psychologin
„Ich denke schon, dass man bei Computerspiel-Sucht und Internet-Sucht bei Kinder und Jugendlichen von einem Massenphänomen sprechen kann.“
Dr. Bert te Wildt, Psychiater
Ob es eine krankheitswertige Dimension hat, die man dann auch behandeln müsste, könne man noch nicht genau abschätzen (Stand 2007).
Computerspiel-Sucht hat Folgen im Real-Life
Bei Marc-Oliver hat exzessives Videospielen zu Schwierigkeiten in der Schule geführt.
„Ich bin mit Hauptschule abgegangen und hab‘ es dann sein lassen. Ich war auch mal ein sehr guter Schüler und die ersten Jahre ging es auch noch. Aber dann kam das Internet, World of Warcraft…“
Marc-Oliver, Computerspieler
„Wir wissen, je mehr die Kinder computerspielen und je brutaler die Inhalte sind, umso schlechter fallen die Noten aus. Und damit haben wir eine Haupterklärung dafür, dass die Jungen in der Leistungskrise sind.“
Prof. Christian Pfeiffer, Sozialpsychologe
Der Psychiater bezieht sich auf das Geschlechterverhältnis der Sitzenbleiber. Anfang der 90er waren die Sitzenbleiber gleich verteilt, heute schaffen um 20 % mehr Jungen den Aufstieg nicht.
Der 15-jährige Jonas spielt mit 5 Stunden täglich etwas weniger. Die Mutter schafft es trotzdem nicht, ihn davon abzubringen.
„Tastatur weggenommen, eingesperrt. Dann hat er gegen die Tür getreten, das artet richtig in Gewalt aus.“
Karin P., Mutter von Jonas
Profiteure verharmlosen das Problem
Die Spielehersteller sehen die Abhängigkeit von Computerspielen und entstehende Probleme als Randphänomen.
„Wichtig insgesamt ist, dass Eltern erkennen, das ist eine Geschichte, die Spaß macht. Die viele Kinder machen. Auch viele Jugendliche und viele Erwachsene. Darüber muss man sich informieren und darüber muss man reden können.
Martin Lorber, Electronic Arts
Die Mutter ist nachvollziehbar anderer Ansicht, schiebt in ihrer Hilflosigkeit den Herstellern die Verantwortung zu.
„Ich kann Eltern in dieser schwierigen Situation verstehen. Die Hersteller legen es nicht darauf an, jemanden süchtig zu machen, das ist nicht unser Interesse. Wir wollen ja immer wieder ein Spiel verkaufen und nicht jemanden von einem einzigen Spiel süchtig machen.“
Martin Lorber, Electronic Arts