Ab wann ist man süchtig nach Computerspielen? Wie soll ich ihn/sie darauf ansprechen? 3sat nano befragt dazu den Experten Michael Dreier von der Universitätsmedizin Mainz.
Leider offline
Woran lässt sich ablesen, ob jemand süchtig nach Computerspielen ist?
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es 9 diagnostische Kriterien um zu beurteilen, ob es noch normales Verhalten oder schon eine Sucht ist.
Für den Alltagsgebrauch schaut man am besten, ob die Beschäftigung mit den Computerspielen negative Konsequenzen hat. Bei Schülern wäre das, wenn sich die Schulnoten deutlich verschlechtern, oder wenn die Beziehung zu Freundin und Freunden darunter leiden.
Man kann es auch daran erkennen, wenn große Teile der Freizeit umgeschichtet werden. Zeit am Computer muss von anderen Aktivitäten abgezogen werden. Wenn sich der Betroffene immer weniger mit Freunden trifft oder frühere Hobbys vernachlässigt werden, um mehr spielen zu können, sollte das angesprochen werden.
Süchtiges Verhalten dient oft zur Stimmungsregulation (etwa bei depressiven Anzeichen). Wird der Computer genau dann angeschaltet, wenn es dem Betroffenen nicht gut geht? Versucht er damit, gezielt seine Stimmung zu verbessen?
„Immer wenn das passiert: Mir geht es nicht gut, dann möchte ich online sein – ist das auch ein Alarmsignal.“
Michael Dreier, Universitätsmedizin Mainz
Ab welcher Nutzungsdauer kann man von Suchtverhalten sprechen?
Die Sucht an einer Stundenanzahl festzumachen ist schwierig. Je nachdem, in welcher Lebenssituation man steht, kann es noch ok oder auch schon zu viel sein. Im Kern geht es nicht um die Nutzungsdauer, sondern um die Abhängigkeit.
„Manche Studien sagen zwei Stunden sind eine relativ gute Grenze, weil sich das statistisch gut trennt. Ab da können psychische Probleme anfangen aber der Kern ist nicht die exzessive Nutzung, sondern die Abhängigkeit. Und bei einer Abhängigkeit kann auch schon ein geringerer Nutzungsumfang ein Problem sein. „
Michael Dreier, Universitätsmedizin Mainz
Was kann ich tun, wenn ich glaube, dass jemand in meinem Umfeld computersüchtig ist?
Der erste Schritt: ansprechen, Wünsche, Ideen formulieren. Zum Beispiel:
„Mir ist aufgefallen, du bist sehr viel online.“
„Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsam etwas mehr draußen machen.“
„Hast du nicht Lust, heute ins Kino zu gehen.“
„Bei Kindern empfehle ich, mehr Taschengeld zu geben, um dem Kind eine Offline-Aktivität zu ermöglichen, z. B. eben ins Kino zu gehen mit Freunden. Oder auch abends in eine Bar oder auf eine Feier (sofern das altersmäßig schon möglich ist). Damit sie Geld haben für andere Aktivitäten, die nicht zuhause stattfinden.“
Michael Dreier, Universitätsmedizin Mainz
Kann ich auch Fehler machen, wenn ich den Betroffenen anspreche?
Im Zweifel lieber ansprechen. Das Verschleppen der Probleme ist schlechter. Nicht ansprechen wäre auch eine Resignation vor dem Problem. Es würde die Situation nur hinauszögern bis die Folgen unerträglich werden: Sitzenbleiben, Abbruch des Studiums, Verlust des Arbeitsplatzes.
Was kann ich tun, wenn ich von mir selbst glaube, computersüchtig zu sein
Eine niederschwellige Möglichkeit sind Beratungs-Hotlines. Wenn man die Situation dort schildert, können die einem sagen, ob es überhaupt Klärungsbedarf gibt. Dann wird gegebenenfalls ein diagnostisches Erstgespräch beim Psychologen vereinbart. Mit diesem Ergebnis kann man dann beurteilen, ob eine Therapie notwendig ist.
Welche Therapieformen gibt es?
An der Universitätsmedizin Mainz wird eine ambulante Therapie mit Gruppen- und Einzelsitzungen angeboten. Das ist ein passendes Angebot für Süchtige ab 17 Jahren. Jüngere sind bei einem Medientraining besser aufgehoben. Im Medientraining konzentriert man sich auf das Training von Skills. Etwa die Steigerung des Selbstwertes.
Oft sind Computerspiel-Süchtige schüchterne, sozial unsichere Personen. Da sollte man am Selbstwert, an Stress auslösenden Situationen oder an der Stimmungsregulation arbeiten. Das ist Arbeit an den Ursachen. Es hilft die Auslöser zu verstehen, ist das ein wichtiger Beginn. Der nächste Schritt ist, diese Sachen umzulernen.
Wie lange dauert eine Therapie?
Eine Therapie dauert an der Universitätsmedizin in Mainz 4 Monate. Schön ist, dass die Betroffenen schon während der Therapie merken, dass es ihnen besser geht. Sie gewinnen langsam ihr früheres Leben zurück. Leider klappt das nicht bei allen.
Können die Betroffenen nach der Therapie Computer wieder uneingeschränkt nutzen?
Die Computersüchtigen haben nach einer Therapie wieder mehr Einfluss auf ihr Leben. In der Zeit danach muss er genau das meiden, was ihm vorher die Probleme bereit hat. Mit einem Ampelmodell lässt sich das veranschaulichen.
- Grünes Licht: Diese Dinge können ohne Probleme genutzt werden.
- Gelbes Licht: Bei diesen Dingen ist Vorsicht geboten.
- Rotes Licht: Auf diese Dinge sollte komplett verzichtet werden.
Wenn ein Computerspielsüchtiger z. B. jahrelang World of Warcraft gespielt hat, finden sich alle Online-Rollenspiele in diesem roten Bereich wieder. Er soll auf alle Online-Rollenspiele verzichten. Facebook könnte für ihn aber im grünen Bereich sein. Was in welchem Bereich liegt, muss jeder während der Therapie individuell für sich erarbeiten.