Präsentation an der Tagung experimentell arbeitender Psychologen
Kaser, Armin, Sachse, Pierre (2012). Online-Werbung und Web Analytics – moderne Technologien in der Experimentalpsychologie nutzen. In A. Bröder, E. Erdfelder, B. E. Hilbig et al. (Hrsg), Abstracts, 54. Tagung experimentell arbeitender Psychologen, S. 297. Lengerich: Pabst.
Transkript:
Qualitätskriterien von Experimenten in der Werbe- & Konsumentenpsychologie
Experimenten und Untersuchungen in der Werbe- und Konsumentenpsychologie wird häufig vorgeworfen, dass die Studien nicht seit der eigentlichen Zielgruppe und in deren natürlichem Kontext der Interaktion stattfinden.
Felser (1997, S. 444) gibt eine Übersicht von Qualitätskriterien, an denen sich die Praxisrelevanz von Studien aus der Werbewirksamkeitsforschung beurteilen lässt.
Die Kriterien sind:
- Ist das Stimulus-Material, so wie in der Realität, in ein Rahmenprogramm eingebettet oder wird es – unrealistisch – isoliert dargeboten,
- Können sich die Probanden, wie in der Realität, zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden,
- Werden auch Werbepräsentationen für andere Produkte gezeigt?
- Werden die Probanden häufiger als einmal mit dem Stimulus-Material konfrontiert?
- Handelt es sich bei den Anzeigen um solche für bekannte (realistisch) oder für unbekannte (unrealistisch) Produkte?
Labor- vs. Feldexperiment
In einem klassischen Laborexperiment, wie es in vielen Untersuchungen aufgebaut wird, müssen Kompromisse eingegangen werden: Die Situation im Labor kann den natürlichen Kontext der Entscheidung nur begrenzt nachbilden (1), die Anzahl der Alternativen ist durch die Vorauswahl des Experimentators eingeschränkt (2), ebenso wie bereits eine Vorauswahl an Produkten (3) getroffen wird. Die Anzahl der Konfrontationen mit dem Stimulusmaterial ist hingegen aus eher praktischen Gründen begrenzt, da Versuchspersonen für hohe Anzahl Wiederholungen schwer zu gewinnen sind (4).
Dem gegenüber kann ein Feldexperiment zwar mit höherer Validität der Ergebnisse dienen, im Gegenzug ist aber die Manipulation der unabhängigen Variable erschwert. Diese Nachteile von Laborexperiment einerseits und Feldexperiment andererseits lassen sich aber durch unser Konzept eines Online-Experiments vermeiden.
Datenbeschaffung
Nachdem der Versuchsteilnehmer auf der Experimentalplattform gelandet ist, übernimmt ein Web Analytics-System die Protokollierung aller Aktionen des Nutzers. Dem Detailgrad der Aufzeichnungen sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Neben der Produktwahl, dem Kaufkriterium, können auch andere Kennzahlen wie Verweildauer und Absprungrate für die Interpretation der Ergebnisse herangezogen werden. Die Daten aus dem Web Analytics-System können weitgehend automatisch in Statistik-Programme (SPSS, R) importiert werden. Für einfache Experimente ist das kostenlose Web Analytics-System Google Analytics ausreichend.
Abb. 3: Übersicht über das experimentelle Design
Eine neue Herangehensweise – Experiment 2.0
Beispiel: In einem Experiment soll untersucht werden, ob die User Experience einen Einfluss auf die Verkaufszahlen eines Onlineshops hat.
Vorgehensweise:
1. Gestaltung der Experimentalplattform
Für das Experiment werden zwei unabhängige Varianten des Online-Shops geschaffen und online gestellt: Eine Version „High User Experience” und eine Variante „Low User Experience”. Die beiden Shops unterscheiden sich lediglich hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes.
2. Rekrutierung der Versuchspersonen
Versuchspersonen werden online gewonnen. Für das Produkt werden Online-Anzeigen, etwa bei Google AdWords, geschaltet. Bei Klick auf diese Anzeige wird ein Internutzer zufällig auf eine der beiden Seiten weitergeleitet. Damit wird der Nutzer zum Versuchsteilnehmer. Da die Werbungskosten per Klick (CPC) abgerechnet werden, fallen pro Versuchsteilnehmer lediglich zwischen 0,50 und 1 € an.
Resümee
Die Kombination aus Online-Anzeigen, A-B-Test und Web Analytics stellt also eine sehr effektive und kostengünstige Alternative zum klassischen Laborexperiment dar, wenn es der Untersuchungsgegenstand zulässt.
Das Untersuchungsdesign löst für passende Untersuchungsgegenstände das prinzipielle Dilemma der Forschung, Lebensnähe mit Beweiskraft zu kombinieren (Felser, 1997, S. 445). Die interne Validität ist gegeben, weil sich der Erfolg oder Misserfolg einer Websitevariante eindeutig auf die Manipulation (z.B. der User Experience) zurückführen lässt. Die externe Validität ist gegeben, weil der Untersuchungskontext des Probanden exakt der realen Situation entspricht. Die genannten Qualitätskriterien werden so zur Gänze erfüllt.
Literatur und Links
Felser, G. (1997). Werbe- und Konsumentenpsychologie: Eine Einführung. Stuttgart: Schäffer-Poeschel
Aden, T. (2010). Google Analytics: Implementieren, interpretieren, profitieren (2. Auflage). München: Hanser.
Google AdWords: https://ads.google.com/intl/de_AT/home/
Google Analytics: https://marketingplatform.google.com/about/analytics/