Meine Dissertation “User Experience bei IT-Produkten” beschäftigte sich mit der Frage, wie oft Webseitenbetreiber wie Hotels, Online-Shops und E-Commerce-Unternehmer ihre Website mindestens überarbeiten müssen, um keine Umsatzeinbußen hinnehmen zu müssen.
Das Internet, seine grundlegende Technologie und die Erwartungen der Nutzer entwickeln sich weiter. Deshalb entsteht bei Ihnen der Eindruck, dass sie ihre Website ständig erneuern müssen – vor allem um ästhetischen und design-technischen Trends hinterherzulaufen.
In einem großen Online-Experiment mit 60 Offline- und 215 Online-Testpersonen zeigte sich, dass es für den geschäftlichen Erfolg sicher nicht förderlich – wahrscheinlich sogar hinderlich ist, neue Designtrends umzusetzen. Website-Relaunches sind teuer und haben in den meisten Fälle keinen positiven Auswirkungen auf Besucherzahlen und Umsätze.
Die vollständige Dissertation können Sie an der Uni-Bibliothek Innsbruck ausleihen: weiter zum Bibliothekseintrag. Unten stehend finden sie auszugsweise die Abschnitte
- Zusammenfassung
- Fazit
Zusammenfassung/Abstract
(deutsche Fassung)
Moderne IT-Produkte, wie Handys oder Websites, werden gezielt darauf hin entwickelt, beim Nutzer ein positives emotionales Nutzungserlebnis auszulösen. Für Unternehmen stellt sich die Frage, ob sich Investitionen im Bereich User Experience auch im späteren kommerziellen Erfolg ihrer Produkte niederschlagen. Diese Frage sollte die vorliegende Arbeit beantworten.
In der Vorstudie der vorliegenden Arbeit wurde versucht, jene Gestaltungsmerkmale von Hotel-Websites zu bestimmen, die für eine positive User Experience förderlich sind. Dazu schätzten N=60 Versuchspersonen 36 real existierende Hotel-Websites unter anderem auf deren emotionale Wirkung (Self Assessment Manikin nach Bradley und Lang, 1994) und Ästhetik (Ästhetik-Fragebogen nach Lavie und Tractinsky, 2004) ein.
Im anschließenden Experiment der Hauptuntersuchung wurde ein A-B-Test mit zwei Kopien einer Hotel-Website durchgeführt. Unter Berücksichtigung der in der Vorstudie ermittelten User Experience-relevanten Faktoren wurden die beiden Kopien manipuliert (High User Experience vs. Low User Experience) und online gestellt. Anschließend wurden beide Varianten auf der Werbeplattform Google AdWords beworben und per Web Analytics das Navigationsverhalten und Buchungszahlen der N=215 Besucher erfasst.
Die Ergebnisse zeigen, dass hohe User Experience keinen positiven Einfluss auf das tatsächliche Verhalten der Besucher und damit den kommerziellen Erfolg der Website hatte. Sie stehen damit in Widerspruch zum Groß der Modelle (Mahlke und Thüring, 2007; Norman, 1999; Tractinsky, 2004) und Studien (Koo und Ju, 2010) im User Experience-Bereich als auch einer allgemeinen „beauty sells“-Annahme. Der fehlende Effekt lässt sich auf das Beauty-Dilemma nach Diefenbach und Hassenzahl (2009) zurückführen, demzufolge „weiche“ Faktoren, wie Ästhetik, im Moment der Produktwahl systematisch abgewertet werden.
(englische Fassung)
Modern IT products such as mobile phones or websites are specifically developed to elicit a positive user experience. Organizations thus need to evaluate whether they should invest in user experience if this manifests in higher profit of products. The present work deals with this problem. In a pre-study, design elements of hotel websites important for positive user experience were extracted. Sixty participants rated 36 real websites regarding emotional impact (Self Assessment Manikin: Bradley & Lang, 1994) and aesthetics (Lavie & Tractinsky, 2004), amongst others.
For the experimental main study, an A-B design with two websites, only differing in the previously extracted factors (high vs. low user experience), was employed. After advertising both variants with Google AdWords, data of navigation behavior and purchase rates of N = 215 users were collected via Web Analytics. Findings yielded that high user experience has no impact on actual purchase decisions. Thus, profit may not be a function of websites’ user experience.
The findings contradict previous literature (Koo & Ju, 2010; Mahlke & Thüring, 2007; Norman, 1999; Tractinsky, 2004) which generally supports a “beauty sells” hypothesis. However, findings can be interpreted in light of the beauty dilemma proposed by Diefenbach and Hassenzahl (2009) who stipulate that “soft” factors such as aesthetics are systematically depreciated in purchase decisions
Einleitung
Der jüngste Markterfolg des iPhones der Firma Apple und einer Vielzahl von vergleichbaren Geräten zeigt, dass sich die Ansprüche an technische Geräte und Software in den letzten Jahren verändert haben. Moderne Produkte müssen nicht mehr nur ihren Zweck erfüllen, sondern auch Spaß machen: hedonistische Qualitäten haben. Aus wissenschaftlicher Sicht bedeutet dies, dass das bisherige Credo der Human-Computer-Interaction, „form follows function“, welches seine Wurzeln in der Ingenieurpsychologie und Software-Ergonomie hat und schließlich das Konzept der Usability hervorgebracht
hat, um eine emotional-motivationale Komponente ergänzt werden muss (Overbeeke, Djajadiningrat, Hummels, Wensveen & Frens, 2005; Norman, 2005; Harper, Rodden, Rogers & Sellen, 2008; Stewart, 2009; Hassenzahl & Tractinsky, 2006).
Dieses Ziel verfolgt die Wissenschaft mit dem Konstrukt User Experience, dessen experimentelle Untersuchung Gegenstand dieser Dissertation sein soll. User Experience muss in einem sehr breiten Kontext gesehen werden. Am offensichtlichsten ist dabei der Aspekt der Usability, einer relativ mechanistischen Sichtweise, die vor allem darauf abzielt, Hindernisse im Prozess der Benutzung abzubauen und den Benutzer.
An dieser Stelle lässt sich auch eine Brücke zur Motivationspsychologie schlagen, denn ob es zu einem positiven Nutzungserlebnis kommt, hängt auch von den Motiven und Zielen einer Handlung ab (Hassenzahl, Schöbel & Trautmann, 2008). Dabei ist die Motivation nicht nur kritisch für die Aufnahme einer Handlung, sondern auch für die Aufrechterhaltung derselben und schließlich das Ergebnis selbst (Okada, 2005).
Studien aus der Lernpsychologie zeigen außerdem, dass exploratives, freiwilliges Lernen („learning by doing“) die Aufnahme von neuen Informationen besonders begünstigt (Steiner & Klaey, 2006) nicht unnötig zu frustrieren. Darüber hinaus sollen im Umgang mit Produkten auch Gefühle von Freude und Zufriedenheit, im Idealfall sogar Flow-Erleben (Csikszentmihalyi & Charpentier, 2007), ausgelöst werden, was die emotionspsychologischen Aspekte der User Experience aufzeigt.
Erweitert man den Rahmen auf Produkte, die im professionellen Bereich verwendet werden, trägt die Erforschung von User Experience dazu bei, Arbeitsumgebungen und -bedingungen nach humanistischen Gesichtspunkten zu gestalten (Ulich, 2005; Lazar, Jones & Shneiderman, 2006). Hier zeigen sich Verbindungen zu Belastungs- und Beanspruchungsmodellen aus der Gesundheitspsychologie, die Fehlbelastungen durch ungünstig gestaltete Bildschirmarbeitsplätze als Auslöser von zahlreichen physischen und psychischen Beschwerden sehen (Molnar & Schmidt, 2001) – was sich als besonders brisant darstellt, da das Groß der heute Beschäftigten mit technischen Produkten arbeitet, sei es am Computerarbeitsplatz oder in der Montagehalle.
Doch auch der sukzessive Vorstoß von Soft- und Hardware in unsere Freizeit kann als Folge des Paradigmawechsels von Usability zu User Experience gesehen werden. Die Markt- und Werbepsychologie hat den Wettbewerbsvorteil User Experience längst erkannt. Von den Investitionen in diesem Bereich profitiert am Ende auch der Kunde.
Auch der Umgang mit Computern hat sich verändert. Die Allgegenwärtigkeit der Rechner, versteckt in Handys, Autos und auch einfachen Haushaltgeräten („ubiquitious computing“), ist eine neue Herausforderung an die Entwicklung von Schnittstellen zwischen Mensch und Computer (Norman, 2009). Der Vision von Weiser (1991) zufolge sollen heutige Computer und Interfaces verschwinden und durch vernetzte, intelligente Gegenstände ersetzt werden. Dieses „Internet der Dinge“ soll den Menschen unterstützen, ohne dabei abzulenken oder überhaupt aufzufallen.
User Experience kann demnach aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet werden.
Die vorliegende Arbeit versucht, diesem interdisziplinären Charakter des Themas gerecht
zu werden.
Aufbau der Arbeit
Zu Beginn werden Produkte vorgestellt, die in den letzten Jahren am Markt besonders erfolgreich waren (das iPhone als Beispiel für Hardware und Computerspiele als Beispiel für Software). Dann soll gezeigt werden, worauf die akademische Forschung den Erfolg dieser Produkte zurückführt und welche Modelle dafür entwickelt wurden (User Experience und Joy of Use). Anschließend werden die Komponenten dieser Modelle abgehandelt (Usability und Ästhetik) und Versuche unternommen, diese neuen Modelle mit etablierten Konstrukten zu verbinden (Abbildung 2). Ein Schwenk zur Werbe- und Konsumentenpsychologie zeigt dann, dass deren Erkenntnisse in den Bereichen Aktivierung und Emotion auch in der IT Anwendung finden können.
Für das Verständnis des Untersuchungsablaufs und vor allem der Auswertung ist es nötig, die Grundlagen von Web Analytics (Methoden und Funktionsweise) zu behandeln. Schließlich ist die Besonderheit dieser Arbeit das praxisnahe Kriterium „kauft der Kunde oder kauft er nicht“, dessen Erhebung aber nicht ganz so trivial ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
User Experience am freien Markt
Viele Unternehmen entwickelten in den letzten Jahren auch ohne wissenschaftliche Grundlage bereits Produkte, die sich zentral an User Experience orientierten. Zur Veranschaulichung, wie groß das Marktpotential solcher Produkte ist, werden hier stellvertretend das iPhone und Computerspiele im Allgemeinen unter die Lupe genommen.
Das iPhone
Das iPhone der Firma Apple Inc. ist mit einem Marktanteil von 16% eines der am weitesten verbreiteten Smartphones (Schmidt, 2010).
Smartphones bezeichnet eine Geräteklasse, die in Bezug auf Funktionalität über die Möglichkeiten eines Handys hinausgeht. Ein umfangreiches Betriebssystem ermöglicht die Installation eigener Anwendungen und Software, sog. Apps (Boudreaux, 2009). Häufig bieten die Geräte über Telefonier- und SMS-Funktionen hinaus grundlegende Büro- und Datenkommunikationsfunktionen (v.a. Internet) und können so Aufgaben von Personal Digital Assistants (PDAs) übernehmen. Die Benutzereingabe erfolgt meist über einen Touchscreen. Dies ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal gegenüber
Handys mehr, ebenso wie die Abspielmöglichkeit von Musik oder Videos sowie die Möglichkeit, Fotos zu machen.
Die Medienresonanz (Grossman, 2007) und der große Erfolg des iPhones ist jedoch weniger auf technische Eigenschaften zurückzuführen (Tognazzini, 2007). Vielmehr gelingt die Unterscheidung zur Konkurrenz durch konsequente Verfolgung von Design und Lifestyle-Aspekten (Schneidermeier, 2009; Bodker, Gimpel & Hedman; Dörner, 2008). Befragungen haben ergeben, dass sich nur etwa ein Drittel der Kunden wegen der technischen Merkmale für das Produkt entscheiden (Friedrichs, 2008).
Die Schaffung einer User Experience beginnt nicht erst beim Kauf des Produkts (Geis, 2010). Schon die iPhone-Werbung vermittelt, dass der Besitz dieses Produkts ein sehr exklusives Gut ist. Dies wird verstärkt durch eigene Apple-Stores und kleine Apple-Inseln in großen Elektronikfachgeschäften mit Personal im Apple-Dresscode. Eine derartig aufwändige Präsentation eines Produkts ist für diese Branche unüblich, und erinnert stark an die Vermarktung von exklusiver Designermode wie Louis Vuitton oder Prada.
Auch Produktpräsentationen mit dem charismatischen CEO Steve Jobs werden als große Events organisiert und erhalten viel Aufmerksamkeit in den Medien.
Nach dem Kauf wird weiter an der User Experience gearbeitet: Attraktive Verpackung sowie Betriebsanleitungen in Glanzpapier versuchen schon vor der ersten Benutzung zu vermitteln, dass es sich um ein hochwertiges Produkt handelt. In der Bedienung spielt die Verwendung von Gesten eine große Rolle. Für viele Nutzer ist es mit diesem Gerät das erste Mal, bei dem sie ein Handy/Smartphone mit einem Touchscreen steuern, was den Eindruck erwecken kann, dass es sich um ein besonders innovatives Produkt handelt.
Das zeigt sich auch im hervorragenden Abschneiden in Studien zur Kundenzufriedenheit (Tews, 2009; Koller & Limbach, 2009; Rubicon Consulting, 2008), bei denen das Stichwort „Innovativität“ häufig fällt.
Anhand des Apple iPhones lässt sich sehr gut zeigen, dass User Experience einen weiteren Betrachtungsrahmen benötigt als die bloße Beschränkung auf Gebrauchstauglichkeit und Funktionalität. Ein gelungener Marketingmix färbt ebenso auf die Wahrnehmung des Nutzers ab wie die eigentlichen Merkmale des Geräts selbst (Petre, Minocha & Roberts, 2006) (vgl. auch Abschnitt Definition von User Experience S.16).
Computerspiele
Computerspiele sind eine der erfolgreichsten Anwendungen interaktiver Systeme. Im Gegensatz zur Entwicklung von Software für den professionellen Bereich wurde Spieledesignern und -gestaltern wesentlich mehr Freiheit für Innovation und Kreativität eingeräumt, weil diese Merkmale für Spiele ein gewichtiges Verkaufsargument darstellen.
Es fällt schwer, von einer User Experience bei Computerspielen zu sprechen. Die Vielfalt der Formen und Genres von Computerspielen schafft auch eine Vielfalt von unterschiedlichen Erlebnissen – von actionreichen Sportspielen über herausfordernde OnlineStrategiespiele gegen menschliche Gegner bis hin zur gemeinsamen User Experience während der Entdeckungsreisen in Massive-Multiplayer-Online-Role-Playing-Games (Bartle, 1996; Battarbee & Koskinen, 2005).
Da Computerspiele ein relativ junges Forschungsfeld sind, gibt es noch keine weitläufig anerkannten Modelle oder Begrifflichkeiten. Computerspielmagazine versuchen diese Produkte objektiv zu bewerten, um Kaufempfehlungen auszusprechen. Dabei greifen sie auf Punktesysteme zurück, die den „Gesamtspielspaß“ als Produkt der Merkmale Grafik, Sound, Balance des Schwierigkeitsgrades, Atmosphäre, Umfang, Bedienung und
anderen, genretypischen Merkmalen einschätzen.
Ein wissenschaftlicher Versuch, die User Experience bei Computerspielen zu fassen ist der Game Experience Questionaire (Isselsteijn et al., 2008). Erwähnenswert sind auch Versuche, Konzepte wie Flow und Immersion zur Erklärung des Erlebnisses zu verwenden (Sweetser & Wyeth, 2005; Shin, 2010; Lee & Tsai, 2010; Qin, Patrick Rau & Salvendy, 2009). Mit physiologischen Messungen wird ebenfalls versucht, die User Experience bei Computerspielen zu messen. Mandryk, Kori und Calvert (2006) konnten so spezifische Unterschiede in der User Experience von Solo- und Multiplayerpartien erfassen.
Noch weiter gehen Versuche, die von Computerspielen vermittelte User Experience per physiologische Messungen an den Nutzer anzupassen. Dabei wird während des Spielens mittels Bio-Feedback-Sensoren das Angst-Level des Spielers analysiert, und der Schwierigkeitsgrad des Spiels dynamisch angeglichen (Liu, Agrawal, Sarkar & Chen, 2009). Ein passender Schwierigkeitsgrad ist ein wichtiger Faktor für die Entstehung der User Experience bei Computerspielen (Behr, Klimmt & Vorderer, 2009).
Aber können Erkenntnisse aus der Computerspielforschung einfach übernommen werden? Zwischen Anwendungen aus dem professionellen Bereich und Computerspielen finden Pagulayan et. al. (2003) fünf konzeptionelle Unterschiede:
- Während in professionellen Anwendungen Hindernisse in der Erreichung von Zielen soweit wie möglich eliminiert werden, beziehen Computerspiele ihren Reiz daraus, dass diese als Herausforderung für den Spieler absichtlich eingebaut werden.
- In Spielen ist der Prozess selbst Motivation und Belohnung zugleich, professionelle Anwendungen hingegen müssen sich an Ergebnissen (Outcome) messen lassen und sind in der Regel extrinsisch motiviert (Zweckfreiheit, siehe auch Wünsch und Jenderek 2009).
- Professionelle Anwendungen werden möglichst einheitlich gestaltet, während Computerspiele ihren Reiz zum Teil daraus beziehen, dass sich Erfahrungen und Umgebung im Verlauf des Spiels immer wieder verändern (neue Monster, Quests, Landschaften usw.).
- Professionelle Anwendungen werden meist mit klassischen Schnittstellen wie Maus und Keyboard (z.T. auch Touchscreens wie beim iPhone) bedient, bei Computerspielen gibt es eine große Anzahl an alternativen Eingabegeräten (Lenkräder, Joysticks, Joypads, Gitarre-Attrappen, Laserpistolen oder Bewegungssensoren wie Nintendos Wii und Sonys Eye-Toy).
- Grafik und Sound dienen bei professionellen Anwendungen dazu, die Kommunikation von Funktionalität zu stützen. Bei Computerspielen wird dadurch eine Spielwelt geschaffen, die Handlung unterstützt und Immersion schafft.
Einige der Gestaltungselemente von Computerspielen haben durchaus schon Eingang in professionelle Anwendungen gefunden (z.B. Steuerung durch Mausgesten im Browser Opera) (Moyle & Cockburn, 2005). Experten sprechen sich dafür aus, dass Computerspiel- und Human-Computer-Interaction-Forschung enger zusammenarbeiten sollten (Sellar, 2004). Die großen kommerziellen Erfolge von Spielen wie Call of Duty, Anno 1404 oder World of Warcraft (Lober, 2007, S. 24) sprechen dafür. Außerdem könnte professionelle Software Designkonventionen von Interfaces aus dem Spielebereich verwenden, schließlich haben die Nutzer von morgen diese schon von Kindesbeinen an gelernt. Die Forschung zu User Experience kann als erster Schritt in diese Richtung betrachtet werden.
User Experience in der Wissenschaft
Der Trend weg vom Credo „form follows function“ kann als Reaktion auf die nur moderaten Zusammenhänge zwischen Usability-Kennwerten und Zufriedenheitsmaßen von Websites gesehen werden. Mittlerweile besteht weitgehend Übereinstimmung darüber, dass neben der reinen Usability weitere Faktoren eine Rolle spielen müssen (Law, Roto, Hassenzahl, Vermeeren & Kort, 2009).
Bei der Suche nach solchen Faktoren stellen viele Autoren die Bedeutung von Affekten in den Vordergrund, welche im Prozess der Interaktion entstehen. Dass eine gemeinsame Linie in der Forschung noch fehlt (Naumann, Wechsung & Schleicher, 2009), zeigt sich in der Vielfalt der Begriffsbezeichnungen, welche die Autoren wählen:
- Appearance nach Aladwani und Palvia (2002) als eine Skala des Konstrukts user-perceived website quality mit den vier Skalen: technical adequacy, specific content, content quality und appearance,
- Attraktivität nach Laugwitz, Schrepp und Held (2006) als eine Skala des Konstrukts user experience mit den 5 Skalen Attraktivität, Durchschaubarkeit, Vorhersagbarkeit, Effizienz, Originalität und Stimulation,
- Attractiveness (I) nach van der Heijden (2003) als Konstrukt einer perceived attractiveness, welche einen Einfluss auf usefulness, enjoyment, und ease-of-use hat,
- Attractiveness (II) nach Ting, Rau und Salvendy (2010) als eine Determinate für Usability, Design nach De Wulf et al. (2006) als Maß für den Unterhaltungswert einer Website, die durch das Einbauen von Bildern, Videos und Sounds erhöht werden kann und Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg des Angebots hat,
- Emotion nach Agarwal und Venkatesh (2002) als Konstrukt mit den Subkomponenten challenge (Grad der Herausforderung, Schwierigkeit),
plot (Benutzerführung im Sinne einer Drehbuchs), character strength (bezieht sich auf die vermittelte Glaubwürdigkeit) und pace (kennzeichnet das Ausmaß, mit dem die Gestaltung eine Einflussnahme des Nutzers erlaubt), Entertainment nach Alpar (1999) als Teil des Konstrukts User satisfaction mit den Komponenten ease of use, entertainment value, information content und interactivity, - Enjoyment nach van der Heijden (2004) als Determinante der Konstrukte attitude towards using, intention to use und actual use,
- Hedonism nach Hassenzahl (2001); siehe Abschnitt Joy of Use, S.25,
- Hedonic Usability nach Hertzum (2010) als eine Komponente eines erweiterten Usability-Begriffs,
- Innovativeness nach Loiacono, Watson und Goodhue (2002) als Kreativität und Einzigartigkeit des Seitendesigns,
- Joy of Use nach Hassenzahl (2003); siehe Abschnitt Joy of Use, S.25, Likeability nach Egger (1999) als ein Faktor neben Usability und Glaubwürdigkeit, welcher ein Produkt für einen Nutzer attraktiv erscheinen lässt,
- Pleasure nach de Wulf et. al (2006) als eine Determinante für den Erfolg einer Website und die Zufriedenheit des Nutzers,
- Playfulness nach Liu und Arnett (2000) als Voraussetzung für den kommerziellen Erfolg einer Website,
- Satisfaction nach Flávian et al. (2006) als Einflussgröße auf die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit und die Besuchertreue.
- User Experience nach Mahlke und Thüring (Mahlke & Thüring, 2007); siehe Abschnitt User Experience,
S.16.
Jedes einzelne dieser Modelle abzuhandeln ist weder zielführend noch nötig. Trotz der verschiedenen Begrifflichkeiten ist allen Ansätzen eines gemeinsam: Sie gehen über die Betrachtung der Nützlichkeit hinaus und beziehen emotionale sowie motivationale Komponenten in ihre Überlegungen mit ein.
Aus der großen Zahl von Modellen und Ansätzen stechen zwei hervor:
- Das Components of User Experience-Modell von Mahlke und Thüring (Mahlke et al., 2007), weil es mit dem Konstrukt User Experience sich mit jenem beschäftigt, das momentan am Markt und in der Ratgeber-/Praxis-Literatur am meisten Beachtung findet (Tullis & Albert, 2008; Unger & Chandler, 2009; Garrett, 2008; Buxton, 2008) und
- das Modell der Joy of Use von Hassenzahl (2005), weil es den Unterschied zwischen der Perspektive des Entwicklers und der des Benutzers betont und der zugehörige Fragebogen Attrakdiff2 in der Praxis häufig eingesetzt wird (Hassenzahl, Burmester & Koller, 2008).
Fazit
Die Dissertation sollte die Frage beantworten, ob sich eine positive User Experience, wie sie von Mahlke und Thüring (2007) verstanden wird, positiven Einfluss auf den kommerziellen Erfolg eines IT-Produkts hat.
Als Untersuchungsgegenstand wurden Websites von Hotelbetrieben gewählt, weil sich deren kommerzieller Erfolg leicht mit Web Analytics-Methoden und anhand der Buchungszahlen ermitteln lässt. Durch die Rekrutierung der Versuchspersonen per Google AdWords-Anzeigen und dem Versuchsaufbau als A-B-Test (siehe Abschnitt 3.1) darf die Untersuchung als besonders anwendungsnah gelten.
Die Ergebnisse zeigten keinen Einfluss der User Experience auf die Buchungszahlen, welche das Kriterium für den kommerziellen Erfolg der Hotel-Website darstellten (Abschnitt 6.2). Damit widersprechen sie einer allgemeinen „beauty sells“-Annahme ebenso wie Modellen (Mahlke et al., 2007; Norman, 1999; Tractinsky, 2004) und Studien (Koo et al., 2010; Donovan et al., 1980; Bost, 1987) aus der Human-Computer-Interaction sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Als Ursache für diesen Widerspruch kommt die unterschiedliche methodische Herangehensweise in Frage: Die meisten Studien zu User Experience vertrauen, wie die Vorstudie der Untersuchung (Abschnitt 5), auf Selbstauskünfte der Versuchspersonen. Im Experiment der Hauptuntersuchung (Abschnitt 6) konnte mit den Web Analytics-Daten im Gegensatz dazu das tatsächliche Verhalten erfasst werden, das Menschen in einer realen Situation und im natürlichen Kontext der Interaktion zeigen.
Dass die User Experience im Experiment keinen positiven Einfluss auf das Navigationsverhalten der Nutzer und auf die Buchungszahlen hatte, lässt sich mit dem Beauty Dilemma nach Diefenbach und Hassenzahl (2009) erklären. Demnach werden weiche Faktoren, wie Ästhetik, im Moment der Produktwahl systematisch abgewertet, um eine spätere Rechtfertigung der Wahl zu erleichtern. Diese Strategie ist nicht unbedingt zum Vorteil der Nutzer, denn die User Experience eines Produkts hat durchaus positive Effekte.
Wie Hsee und Hastie (2006) treffend formulieren: „We don’t choose what makes us happy!“ Für Betreiber von Hotel- und E-Commerce-Websites im Allgemeinen bedeutet dies, dass Investitionen in die User Experience ihres Produkts öglicherweise keinen positiven Effekt auf die Verkaufszahlen haben. Diese zentrale Erkenntnis aus den Ergebnissen der Untersuchung ist auch an Beispielen aus der Wirtschaft nachvollziehbar. Als erfolgreichstes IT-Produkt der letzten Jahre darf die Suchergebnis-Seite der GoogleSuchmaschine genannt werden, mit welcher der Konzern 98% seiner Einnahmen lukriert, obwohl diese aus User Experience-Sicht sehr wenig zu bieten hat. Auch Online-Shops wie Amazon.com oder das Internetauktionshaus Ebay.com bleiben der schlichten Gestaltung ihres Auftritts treu.
Die Widersprüche zwischen Vor- und Hauptuntersuchung zeigen zudem, dass der Wahl der Untersuchungsmethoden in der User Experience-Forschung mehr Beachtung beigemessen werden muss. Verhaltensbeobachtung via Web Analytics darf als sehr günstige und valide Erhebungsmethode gelten, im Gegensatz zu den häufig verwendeten Selbstauskünften in der Laborsituation, die vielen, schwer beherrschbaren Störvariablen ausgesetzt sind.
Die Werbeplattform Google AdWords wurde in der Untersuchung verwendet, um Versuchspersonen für das Experiment zu rekrutieren. Der werbepsychologischen Forschung wird häufig vorgeworfen, nicht praxisnah genug zu sein, wenn sich experimentelle Untersuchungen auf den Personenkreis beschränken, der gerade auf dem Campus herumläuft oder credits für Kurse benötigt (Felser, 1997, S. 444). Mit dem Einsatz von Google AdWords kann sichergestellt werden, dass nur jene Personen an der Untersuchung teilnehmen, die wirklich Interesse am Produkt haben. Außerdem kann diese Zielgruppe im natürlichen Kontext der Interaktion verbleiben, was der Validität der Untersuchung zugutekommt. Für den Einsatz von Google AdWords und Web Analytics für zukünftige Forschung spricht deshalb nicht nur, dass Experimente dadurch schnell und günstig durchführbar sind. Auch die Akzeptanz der Werbewirksamkeitsforschung kann durch diese neue Methode erhöht werden.
Nicht zuletzt zeigte die Untersuchung, dass bereits gesicherte Erkenntnisse über die grundlegenden Wahrnehmungs- und Kognitionsprozesse nicht einfach auf komplexe Entscheidungsprozesse übertragen werden dürfen. Denn diese vereinfachte Sichtweise führt zu einer irreführenden „beauty sells“-Annahme: Von hoher Aktivierung, deren positiver Einfluss auf Aufmerksamkeit (Birbaumer et al., 1999, S. 533), Involvement (Deon et al., 1999), Betrachtungsdauer (Köcher-Schulz, 2000) und Behaltensdauer (Eysenck, 1982, S. 66; Schönpflug, 1968) nachgewiesen werden konnte, wäre ein Effekt
auf die Buchungszahlen zu erwarten gewesen. Auch vom gezielten Auslösen positiver Emotionen wäre ein solcher Einfluss zu erwarten gewesen (Stuart et al., 1987). Somit sprechen die Ergebnisse dafür, den komplexen Entscheidungsprozess für oder wider ein Hotel/eine Website nicht auf der Ebene dieser grundlegenden Prozesse zu erklären, sondern auf einer höheren Ebene, wie jener des Beauty Dilemmas, zu betrachten.
Aus User Experience-Sicht bleiben noch eine Reihe von Fragen offen. Dass sich kein unmittelbarer verkaufsfördernder Effekt von User Experience einstellte, bedeutet nicht unbedingt, dass sich Investitionen nicht trotzdem lohnen könnten (Abschnitt 6.6). Je nach Website und Geschäftsmodell muss die Finanzierung nicht an den direkten Verkauf von Produkten gekoppelt sein (etwa Abo-Modelle bei Online-Spielen oder die Bereitstellung von Infos im E-Gouvernement). Wegen der enormen Vielfalt von Geschäftsmodellen muss deshalb die Empfehlung im Zweifelsfall lauten: Testen. Mit
Web-Analytics und A-B-Tests stehen dafür mächtige Instrumente zur Verfügung.
Literatur
User Experience bei IT-Produkten: Eine interdisziplinäre experimentelle Untersuchung mit Web Analytics (2012)
Begutachter: Prof. Pierre Sachse, Prof. Karl Leidlmair
Fakultät für Psychologie , Universität Innsbruck