Bei der Durchsicht der Studien fällt auf, dass die Zahl der Abhängigen mal höher und mal niedriger ist. Wodurch kommen diese unterschiedlichen Schätzungen zustande?
Die epidemiologische Forschung erfasst, wie weit ein Problem wie Computerspiel-Sucht in der Gesellschaft verbreitet ist. Es ist aber schwierig, genaue Zahlen zu erheben. Um das Ergebnis in eine konkrete Zahl zu fassen, gibt es drei Möglichkeiten. Die erste ist die Frage:
- Wie viele leiden gerade jetzt unter Computerspiel-Sucht? Das ist die Punkt-Prävalenz, weil sie angibt, wie viele Betroffene es genau zum jetzigen Zeitpunkt gibt.
- Die zweite ist die Möglichkeit: Wie viele litten in den letzten 12 Monaten an einer Computerspiel-Sucht?Auch 12-Monats-Prävalenz genannt. Es ist anschaulicher, wenn man einen größeren Zeitraum betrachtet.
- Die letzte Möglichkeit: Wie viele waren im Laufe ihres Lebens schon einmal computerspiel-süchtig?Hier werden alle mitgezählt, auch jene, die durch Therapie oder von alleine mittlerweile schon wieder davon losgekommen sind. Weil hier die gesamte Lebenszeit abgefragt wird, heißt diese Maßzahl auch Lifetime-Prävalenz.
Definition der Kriterien hat ebenfalls Einfluss
Wenn der Zeitraum festgelegt ist, muss man auch definieren, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, um jemanden als abhängig einzuordnen. In der Wissenschaft nennt man das Operationalisierung.
Psychologische Merkmale wie Computerspiel-Sucht oder die Persönlichkeit eines Menschen müssen durch geschickte Fragen aus den Antworten des Betroffenen herausgefunden werden.
Damit so eine Untersuchung möglichst immer gleich abläuft und unabhängig von Laune, Sympathie, Tageszeit und vielen anderen Zufällen ist, entwickeln Psychologen spezielle Fragebögen. Diese wissenschaftlichen Fragebögen werden an einer sehr großen Anzahl an Betroffenen, aber zugleich auch an Gesunden getestet. Erst wenn sie diesen Test bestanden haben, werden die Fragebögen zur Diagnose eingesetzt.
DSM V – ein Handbuch für Psychiater und Psychologen
Die meisten Fragebögen lehnen sich an eine mittlerweile offizielle Variante der Diagnosekriterien aus dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM V) an.
Das DSM 5 ist ein Buch, das Psychiater geschrieben haben, um genau festzulegen, welche Merkmale bei einer psychischen Störung vorliegen müssen.
Wenn sich Fragebögen eng daran halten, werden die Ergebnisse vergleichbar. Trotzdem gibt es Patienten, die genau auf der Grenze zwischen gesund und krank befinden. Dann kann es passieren, dass die bei einem Fragebogen in den süchtigen Bereich eingeordnet werden, bei dem zweiten Fragebogen dann im gesunden Bereich.
Deshalb unterscheiden sich die Zahlen für Computerspiel-Süchtige auch je nach verwendetem Fragebogen. In Summe gilt aber: Je besser der Fragebogen und die Studien gemacht wurden, desto näher liegen die Zahlen beieinander.
Wer wird überhaupt befragt
Wenn die Schlagzeile lautet: „X % der Deutschen sind computerspielsüchtig“ wird man erwarten, dass Menschen aus Deutschland befragt wurden. Schwieriger ist es aber, auch alle Teile der Bevölkerung gleich zu berücksichtigen.
Am meisten Studien werden mit Jugendlichen gemacht, weil sehr viel mediale Aufmerksamkeit auf diese Altersgruppe gelegt wird. Die Ergebnisse dieser Studien können aber nicht einfach auch auf z. B. junge Erwachsene oder Kinder verallgemeinert werden.
Manchmal werden auch nur Patienten in einer stationären Einrichtung befragt. Die Ergebnisse gelten dann zwar für diese Psychiatrie oder Beratungsstelle, aber wiederum nicht für die gesamte deutsche Bevölkerung.
Fazit
Zusammenfassend sind also die
- Messmethode (Punkt-, 12-Monate- oder Lifetime-Prävalenz),
- die Kriterien bzw. die Formulierung der Fragen des Fragebogens und
- die Auswahl der Stichprobe (z. B. welche Altersgruppe wird befragt)
verantwortlich für die unterschiedlichen Ergebnisse von Studien zur Häufigkeit der Computerspiel-Sucht.